Bottrop. Das elektronische Rezept soll vieles erleichtern. Bottrops Ärztesprecher und Apothekensprecherin sagen, was es in der Praxis taugt und was nicht.

Das E-Rezept ist in Bottrop noch kein Erfolgsrezept. Die Idee: Dieses elektronische Rezept soll die Papierflut an rosafarbenen Rezepten lösen sowie Abläufe in den Arztpraxen und Apotheken beschleunigen. Und Patienten sollen sich den Weg dorthin sogar sparen. So schön die Theorie, die Praxis sieht anders aus.

Wie die Kassenärztliche Vereinigung Westfalen-Lippe mitteilt, läuft seit dem 1. Juli der bundesweite Testbetrieb. Die technischen Voraussetzungen sind nach Einschätzung von Dr. Christoph Giepen, Allgemeinmediziner und Sprecher des Bottroper Ärztevereins, in den Praxen gegeben.

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Er sieht durchaus die Vorteile des E-Rezepts. Arztpraxen sparen unter anderem Papier und Druckertinte. „Wir haben die Telematikinfrastruktur zwischen den Ärzten und Apothekern. Aber das System des E-Rezepts muss funktionieren.“ Was offensichtlich momentan nicht der Fall ist. „Von der Zeit und von den Ressourcen her ist es ein größerer Aufwand“, sagt er. Das fängt bei dem Praxisverwaltungssystem an und hört bei der Krankenkasse auf.

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Je nachdem, mit welchem System die jeweilige Praxis ausgestattet ist, sei es zu „umständlich“ und es dauert „zu lange“, bis das E-Rezept ausgestellt werden kann. Giepen hofft, dass die verschiedenen Hersteller bei der Software technisch nachbessern. „Das wird aber dauern“, befürchtet er. Darum setzen viele Kolleginnen und Kollegen noch immer auf Kugelschreiber zur Unterschrift auf rosafarbenem Papier.

Versicherte müssen ihre Gesundheitskarte in ein Lesegerät in der Apotheke einstecken, eine Geheimzahl wird nicht benötigt. Das E-Rezept wird eingelöst.
Versicherte müssen ihre Gesundheitskarte in ein Lesegerät in der Apotheke einstecken, eine Geheimzahl wird nicht benötigt. Das E-Rezept wird eingelöst. © dpa | David Inderlied

Aus seiner eigenen Praxis kann er berichten, dass bisher nur ganz wenige Patienten die App „Das E-Rezept" in Anspruch nehmen. Wenn die Patienten Medikamente benötigen, müssen sie noch nicht einmal bei ihm in der Praxis vorbeischauen. Giepen regelt alles über die Software und sendet das Rezept auf ihr Handy in die App. Die Patienten können dann damit in die Apotheke gehen und das Rezept einlösen.

Das System „E-Rezept“ hat aber generell noch seine Tücken. Patientinnen und Patienten haben zum Beispiel die Möglichkeit, mithilfe der elektronischen Gesundheitskarte (ehemals: Krankenversichertenkarte) das Medikament in der Apotheke einzulösen. Die Daten sind auf der Karte gespeichert. Zum Einlösen des Rezepts müssen sie die Karte in der Apotheke in ein entsprechendes Lesegeräte stecken. Die Daten werden angezeigt, das Rezept wird eingelöst. Die rosafarbenen Zettel werden nicht mehr benötigt.

Ärztesprecher: Ältere Menschen müssen sich an die Umstellung erst gewöhnen

Dr. Christoph Giepen merkt aber an, dass diese jahrzehntelange Vorgehensweise insbesondere bei älteren Patienten Verunsicherung hervorrufen kann. „Sie sind es gewohnt, dass sie einen Zettel in die Hand bekommen und damit in die Apotheke gehen.“

Aufklärung tut also Not. Er spricht in dem Zusammenhang von „einem größeren Beratungsaufwand“, der deshalb in den Praxen von den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern getätigt werden muss. „Zusätzlich zu unserer eigentlichen Arbeit“, so der Allgemeinmediziner.

Das E-Rezept kann von den Praxen auch ausgedruckt werden. Der QR-Code auf dem Zettel wird dann in der Apotheke gescannt.
Das E-Rezept kann von den Praxen auch ausgedruckt werden. Der QR-Code auf dem Zettel wird dann in der Apotheke gescannt. © dpa | David Inderlied

Und es gibt noch einen Punkt, der völlig absurd und kontraproduktiv zu dem erscheint, was das E-Rezept bewirken soll. Das E-Rezept kann in Praxen als QR-Code auch auf Papier gedruckt werden. Mit diesem Zettel geht der Patient zur Apotheke, der QR-Code wird ausgelesen, der Patient erhält das Medikament.

Über den Sinn darüber lässt sich streiten. Denn schließlich soll das E-Rezept ja eben genau diese Zettelwirtschaft beenden. Das Gegenteil ist der Fall. Offiziell ist der Zettel ein E-Rezept, nur eben auf Papier.

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Um dieses elektronische Rezept zu erstellen, laufen zwar mithilfe der Praxissoftware verschiedene digitale Prozesse ab. Der Arzt signiert das Rezept über ein Display. Nichts wird mit einem Kugelschreiber unterschrieben, druckt es aber letztlich aus. Zettel bleibt Zettel. Giepen: „Was im Hintergrund stattfindet, ist digital. Aber das, was der Patient macht, ist weiterhin analog.“ Nämlich zur Apotheke gehen.

Bleibt noch die bereits erwähnte App „Das E-Rezept“. Wie Giepen berichtet, kann es jedoch bei der Installation zu Problemen beziehungsweise zeitlichen Verzögerungen kommen. Zum Beispiel muss der Nutzer für die Autorisierung eine PIN bei seiner Krankenkasse beantragen. Giepen ist zu Ohren gekommen, dass es manchmal monatelang dauern kann, bis die PIN-Nummer per Post zugeschickt wird. Je nach Krankenkasse kann es auch sein, dass der- oder diejenige persönlich bei der Krankenkasse erscheinen muss.

KVWL: „Ab 1. Januar 2024 ist das E-Rezept verpflichtend“

Ab dem 1. Januar 2024 ist die Anwendung laut Kassenärztlicher Vereinigung Westfalen-Lippe für alle Arztpraxen verpflichtend. „Die Ärzteschaft kritisiert massiv diese Pläne“, meint Dr. Christoph Giepen. So will es aber die Bundesregierung. Es soll nur noch das E-Rezept geben.

Ein Grund für die Kritik: Niedergelassene Ärztinnen und Ärzten werden immer älter. 39 Prozent der Hausärzte und 33 Prozent der Kinderärzte in Bottrop sind älter als 60 Jahre. „Ältere Kolleginnen und Kollegen werden es sich genau überlegen, ob es sich für sie noch lohnt, die Praxis mit neuester und teurer Software auszustatten, wenn sie ein, zwei Jahre später in Rente gehen“, gibt er zu bedenken.

Hinzu kommt ein geografisches Problem: „Es gibt ländliche Regionen, in denen die Digitalisierung noch nicht in den Praxen angekommen ist.“ Deshalb kann sich der Ärztesprecher vorstellen, dass dann die Ärztinnen und Ärzte das E-Rezept eben auf einem Zettel mit QR-Code ausdrucken – also wieder auf Papier, wie eigentlich nicht gewollt. Wer nicht investieren will, hat kaum eine andere Wahl. „Wenn wir als Ärzte dazu verpflichtet sind, müssen wir es auch umsetzen.“

Nicht nur der Ärztesprecher sieht noch Verbesserungsbedarf beim E-Rezept. Seine Meinung teilt Bottrops Apothekensprecherin Birgit Lauer. Aus ihrer Sicht gibt es vor allem zwei Probleme.

Auf einen Blick: So funktioniert das E-Rezept.
Auf einen Blick: So funktioniert das E-Rezept. © funkegrafik nrw | Anda Sinn

Erstens: „Die Gematik funktioniert nicht immer. Im Moment ist die Programmierung nicht praktikabel“, sagt sie. Die Gematik trägt die Gesamtverantwortung für die Telematikinfrastruktur, ist also die zentrale Plattform für digitale Anwendungen im deutschen Gesundheitswesen. Für Anwendungen wie das E-Rezept schafft sie die Rahmenbedingungen.

Birgit Lauer berichtet von technischen Problemen. Mal wurde das E-Rezept vom System eingelesen, dann das Medikament angewählt, aber dann war plötzlich das E-Rezept im System verschwunden. Oder ins E-Rezept schleichen sich beim Ausfüllen Flüchtigkeitsfehler ein. „Ein Leerzeichen oder ein Punkt“, so Lauer.

Hat der Datensatz Fehler, muss ein neuer Datensatz erstellt werden

Die Arztpraxen sehen mitunter diese Fehler nicht, weil sie eben mit bloßem Augen nicht erkennbar sind. Das Problem haben anschließend die Apotheken. „Es kann sein, dass der Datensatz nicht akzeptiert wird.“ Der Kunde steht dann jedoch vor ihr und möchte sein Medikament einlösen. Änderungen des Rezepts von Hand mit einem Stift, wie auf einem rosafarbenen Zettel, sind nicht möglich.

Dazu müsste der jeweilige Arzt wieder ein neues E-Rezept ausstellen. Lauer berichtet von einigen Telefonaten mit Arztpraxen, die sie führen muss, um solche Probleme zu lösen. „Das Hauptproblem ist doch“, meint die Apothekensprecherin, „dass wir überrollt worden sind von den Regelungen.“ Es werde ein System unter Druck gesetzt, dass ohnehin schon seit Jahren unter Druck steht und jetzt noch mehr unter Druck gesetzt wird.

Bottrops Apothekensprecherin: „Es ist Learning by Doing.“

Wie kann man beim E-Rezept die Dosierung ändern? Geht das überhaupt? Wie bekomme ich den Datensatz geändert? Alles Fragen, die sich Apotheken stellen. „Das ist Learning by Doing. Ich befürchte, dass das E-Rezept auf Biegen und Brechen durchgesetzt wird“, meint Birgit Lauer. „Die Apotheken arbeiten seit Jahren am Limit. Auch wir haben einen Fachkräftemangel.“

Das zweite Problem schließt sich nahtlos an das erste an. Wenn das E-Rezept tatsächlich funktioniert, kann es sein, dass das verschriebene Medikament nicht vorrätig ist. Erst kürzlich sprach die Apothekerin gegenüber der WAZ von mehr als 250 Arzneimitteln, die nicht lieferbar sind.

Wenn alles beim E-Rezept einwandfrei funktioniert, kann Birgit Lauer dem E-Rezept etwas Positives abgewinnen. Doch die Realität sieht bisher anders aus. Sie meint: „Was Vorrang haben muss, ist die Versorgung der Menschen mit Arzneimitteln.“