Bottrop. Die Hausärzte überaltern: In Bottrop sind 39 Prozent der Mediziner über 60. Noch ist die Versorgung gut, das könnte sich bald dramatisch ändern.

Droht eine Überalterung der niedergelassenen Ärzte in Bottrop? 39 Prozent der Hausärzte und 33 Prozent der Kinderärzte in der Stadt sind älter als 60 Jahre. Aktuell ist die Versorgungslage gut, es gibt kaum noch Möglichkeiten für neue Ärzte, sich niederzulassen. In Zukunft könnte die Situation aber prekär werden.

Laut Kassenärztlicher Vereinigung Westfalen-Lippe liegt der Versorgungsgrad der Hausärzte im Mittelbereich Bottrop derzeit bei 108,5 Prozent. 68,25 Stellen für Hausärztinnen und Hausärzte sind in Bottrop besetzt. Es besteht noch eine Vollzeit-Niederlassungsmöglichkeit – „dann würde der Bereich aufgrund einer Überversorgung gesperrt werden“, so KVWL-Sprecher Stefan Kuster.

Haus- und Kinderärzte in Bottrop überaltert – hoher Anteil über 60-Jähriger

Die Kassenärztliche Vereinigung kann die Versorgung nur auf Stadt-, nicht auf Stadtteilebene wiedergeben. Um die Versorgungssituation in einem Planungsbereich einzuschätzen, sei auch die Altersstruktur der Ärzte wichtig. Bottrop liegt mit 39 Prozent der Ärztinnen und Ärzte über 60 Jahren knapp unter dem Schnitt von 40 Prozent im gesamten Gebiet der KVWL.

Auch interessant

Bei den Kinderärztinnen und Kinderärzten gibt es in der Stadt allerdings mehr Mediziner über 60 Jahre als im Durchschnitt: 33 Prozent haben diese Altersschwelle in Bottrop überschritten, 27 Prozent sind es im gesamten Westfalen-Lippe. 7,5 Ärzte versorgen Kinder und Jugendliche in Bottrop – ein Versorgungsgrad von 114,1 Prozent. „Der Planungsbereich ist gesperrt, weitere Niederlassungsmöglichkeiten bestehen zurzeit nicht“, sagt Stefan Kuster.

Ein Problem bei den Kinderärzten sei, dass heutzutage mehr Eltern einen Arzt aufsuchen, die Belastung also gestiegen ist. „Mit Blick auf die Behandlung von Kindern und Jugendlichen kommt es zu vermehrter Inanspruchnahme ärztlicher Leistungen aufgrund gesunkener Gesundheitsbildung in der Bevölkerung“, so der KVWL-Sprecher. „Auch nimmt zum Beispiel das Erstellen von Gutachten bei den Ärztinnen und Ärzten immer mehr Zeit in Anspruch.“ Die KVWL sieht da „wichtige Aufgabenstellungen für die Politik“.

Bottroper Hausarzt zur medizinischen Versorgung: „Es wird dramatisch“

Die sieht auch Dr. Carsten Luerweg, Hausarzt im Fuhlenbrock. Mit Blick auf die Altersstruktur der Ärzte in Bottrop sagt er: „Es wird dramatisch.“ Schon jetzt kenne er Kollegen, die ihre Praxis aufgeben wollen, aber schlichtweg keinen Nachfolger finden. Und in ein paar Jahren fällt fast die Hälfte der Ärzte in Bottrop aus – „da macht sich keiner Gedanken drüber“. Dr. Luerweg denkt, dass mindestens die Hälfte dieser Praxen nicht nachbesetzt werden.

Klar, die Situation sei auf dem Land aktuell schon angespannter als in einem Ballungsgebiet wie dem Ruhrgebiet. Aber auch hier bestehe Handlungsbedarf. Die aktuelle Überversorgung sei mit Blick in die Zukunft nicht mehr relevant. Zumal das medizinische Studium plus Facharztausbildung viele Jahre in Anspruch nimmt.

„Wir bekommen keine Nachfolger, wenn wir sie uns nicht selbst heranziehen“

Deswegen nehmen Dr. Luerweg, der selbst die 60 Jahre überschritten hat, und seine Kollegen in ihrer Gemeinschaftspraxis im Fuhlenbrock die Nachfolgesuche selbst an: Sie beschäftigen regelmäßig Weiterbildungsassistenten, junge Ärzte, die zwar medizinisch bereits voll ausgebildet sind, aber noch keinen Facharzt haben. Drei dieser Jung-Mediziner sind derzeit in der Fuhlenbrocker Praxis angestellt, arbeiten zwei Jahre voll mit.

Das mache zum einen „Riesenspaß“, mit jungen Leuten zusammenzuarbeiten und frischen Wind von der Uni zu bekommen. Zum anderen ist sich Carsten Luerweg sicher: „Wir bekommen keine Nachfolger, wenn wir sie uns nicht selbst heranziehen.“

Jüngere Ärzte wollen keine Einzelpraxis mehr betreiben

Gerade Jüngere achteten mehr auf ihre Work-Life-Balance; sie ziehe es eher in eine Gemeinschaftspraxis als alleine die Verantwortung für ihre Patienten zu übernehmen, so praktisch Tag und Nacht verfügbar sein zu müssen. „Man ist flexibler, muss beispielsweise Notfallhausbesuche nicht alleine machen“, nennt Dr. Luerweg einen Vorteil des gemeinsamen Arbeitens.

Das Problem sei, dass es immer noch viele Einzelpraxen gebe. Gerade diese niedergelassenen Ärzte haben es schwer, einen Nachfolger zu finden – und können jetzt auch nicht kurz vor dem Ruhestand eine Gemeinschaftspraxis gründen. Im Kampf um junge Mediziner stehe man zudem in Konkurrenz zu anderen Jobanbietern: Krankenhäuser, Pharmakonzerne bieten oft geregeltere Arbeitszeiten.

Förderverzeichnis

Das Förderverzeichnis ist eine Art Frühwarnsystem, mit dem die KVWL aufzeigen kann, in welchen Gemeinden sich in naher Zukunft Probleme bei der ärztlichen Versorgung entwickeln könnten. Wichtige Indikatoren dafür sind die Altersstruktur und der Versorgungsgrad der Mediziner vor Ort.

Ärztinnen und Ärzte, die sich in den auf dem Förderverzeichnis geführten Städten und Gemeinden niederlassen möchten, können beim Vorstand der KVWL einen Antrag auf besondere Unterstützungsmaßnahmen stellen. Hierzu zählt beispielsweise die Gewährung von Darlehen zum Praxisaufbau oder zur Praxisübernahme.

Die Übernahme von Kosten (Einrichtungskosten) und die Gewährung von Umsatzgarantien sind weitere Beispiele der Förderung. Mit dieser Maßnahme soll eine mögliche Unterversorgung frühzeitig vermieden, die Altersstruktur verbessert und der Versorgungsgrad in den betroffenen Gebieten erhöht werden.

Bottrop gehört aktuell nicht zum Förderverzeichnis.