Bottrop. Ein Bottroper hat als Kind selbst ein Erdbeben erlebt, seine Familie lebt im türkischen Katastrophengebiet. Was ihn wütend macht.
Im Alter von neun Jahren hat Berk S. (Name von der Redaktion geändert) das Erdbeben vom 4. Juli 1998 in der südtürkischen Millionenstadt Adana erlebt, bei dem 145 Personen starben, 1500 Menschen verletzt wurden und zehntausende ihr Zuhause verloren. Er selbst habe mehrere Jahre gebraucht, um damit klarzukommen. Nun erlebt seine Familie am selben Ort eine Katastrophe kaum fassbaren Ausmaßes.
Die Stadt ist durch das Beben, das am 6. Februar den Süden der Türkei und den Norden Syriens erschütterte, dem Erdboden gleichgemacht worden. Fast die gesamte Familie von Berk S. und seinen Eltern lebt in der Region; seine Eltern sind in Adana aufgewachsen, er selbst hat dort gelebt, viele Sommer seiner Kindheit verbracht, „das ist Teil meiner Identität“, sagt der Bottroper. Sie haben Freunde, ehemalige Nachbarn, Tanten und Onkel, Cousinen und Cousins vor Ort.
Erdbeben in der Türkei und Syrien: „Eine der größten Katastrophen der letzten Jahre“
Mit den Worten „Schock“ und „Trauma“ beschreibt Berk S. die ersten Tage nach dem Erdbeben, spricht von einer „krampfhaften Notwendigkeit zu wissen, wer überlebt hat“, die die ersten Stunden bestimmt hat. Und langsam komme auch die Wut auf, über die Fahrlässigkeit der Politik, das Ignorieren von Warnungen, den Baupfusch, der die Häuser schnell zusammenbrechen lässt unter dem Beben der Erde. „Man hat den Rat der Experten ausgeschlagen, der Kollateralschaden ist jetzt eine der größten Katastrophen der letzten Jahre.“
Täglich hat der 33-Jährige Kontakt mit Mitgliedern seiner Familie. Sie sprechen über Facetime, kommunizieren über WhatsApp, erhalten Informationen über Twitter. „Da sind Angstzustände, wenn man zwei, drei Stunden nicht den zweiten Haken bei WhatsApp sieht“, sagt Berk S. Wenn also die Nachricht nicht durchgegangen ist. Wut kommt bei ihm auch auf, weil der türkische Präsident die sozialen Medien runtergefahren hat, sie teilweise nicht nutzbar sind, obwohl doch so wichtig für die Kommunikation untereinander und mit den Angehörigen in anderen Regionen.
Bottroper mit Familie in Adana: „Es ist wichtig, dass die Kinder sprechen“
Berk S., der selbst als Kind das traumatische Erlebnis des Erdbebens erfahren hat, weiß, wie wichtig es ist, vor allem mit den Jüngeren in Kontakt zu bleiben, nicht nur in Gruppen-Calls, sondern sie auch einzeln anzurufen, ihnen zuzuhören. „Es ist wichtig, dass diese Kinder sprechen“, sagt Berk S., „und dass wir auch die Angehörigen vor Ort sensibilisieren, mit ihnen zu sprechen. Sie kommen sonst zu kurz.“
Man kann nur erahnen, wie schwierig es ist, den Kindern nicht in vollem Ausmaß die Trauer und Sorgen zu spiegeln, die die Erwachsenen zutiefst belasten. Da ist sein Schwager, der durch den Schock des Erdbebens zwei Tage halbseitig gelähmt war, die Tante, die sich um ihre Töchter sorgt, die gerade erst ausgezogen sind.
Spenden an die Organisationen, die vor Ort etwas bewirken
Selbst in die Türkei zu reisen, kommt für Berk S. und seine Eltern derzeit nicht infrage. Sie werden auch nicht an der Beerdigung des Familienmitglieds, das durch das Erdbeben aus dem Leben gerissen wurde, teilnehmen. „Es macht überhaupt keinen Sinn, dorthin zu fahren, wir würden nur blockieren“, sagt Berk S. Es sei wichtiger, dass andere Personen vor Ort sind.
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Er appelliert an die Menschen, die helfen wollen, an die Organisationen zu spenden, die tatsächlich im Krisengebiet etwas bewirken können. „Man muss erstmal verstehen: Wie wird dort geholfen?“ Vor allem in den ersten kritischen 72 Stunden ging es erst einmal darum, Opfer zu bergen. Spezialisten mussten und müssen sich den Weg durch die völlig zerstörte Infrastruktur bahnen. Für sie muss der Raum frei gehalten, müssen finanzielle Mittel zur Verfügung gestellt werden.
„Das ist ein unglaublicher psychologischer Schaden“
Lkw-Konvois mit Spenden würden die beschädigten Wege blockieren für die Einsatzkräfte, die jetzt vonnöten sind. Deswegen seien Geldspenden an die Organisationen vor Ort das richtige, Berk S. nennt beispielsweise Ahbap (www.ahbap.org), die intensiv Katastrophenhilfe im Erdbebengebiet leisten. Das könne sich in ein paar Tagen, Wochen aber auch wieder ändern, dann könnten Zelte ebenso gebraucht werden wie andere Sachspenden.
Er ist derzeit für viele in seinem Umfeld Ansprechpartner, seine Freunde, seine Kollegen fragen ihn, wie sie helfen können. In seinen Mittagspausen, nach seinem Feierabend koordiniert er, beantwortet die vielen Nachrichten, hält den Kontakt zur Familie in der Türkei. Jeden Morgen, wenn er aufwacht, liest er all die neuen Informationen, die ständigen Entwicklungen vor Ort, versucht zugleich eine Stütze zu sein für seine Lieben. Denn es sind nicht nur die materiellen Schäden, die enorm sind, „das ist ein unglaublicher psychologischer Schaden“.
Spenden nimmt die türkische Organisation Ahbap unter der IBAN TR150006400000210212150262, SWIFT: ISBKTRIS an.