Bottrop. Eine Erdnussallergie kann Betroffene massiv im Leben einschränken. In der Bottroper Kinderklinik am Marienhospital gibt es eine neue Therapie.
Mit Tränen in den Augen berichtet die Jugendliche (15) im Gespräch mit Bottrops Kinderklinik-Chefarzt Dr. Mirco Kuhnigk, dass sie nie unbeschwert auf einen Kindergeburtstag gehen konnte. Eine Erdnussallergie hat sie – und ihre Eltern – immer fürchten lassen, versehentlich etwas Falsches zu essen und einen schweren allergischen Schock zu erleiden. Seit dem Babyalter war ein Notfallmedikament wichtiger Begleiter. „Die ganze Familie hat gesagt: Wir sind so froh, dass es jetzt etwas gegen die Allergie gibt“, erzählt Kuhnigk. Nämlich eine neue Immuntherapie.
Sechs junge Erdnussallergiker in Bottrop behandelt
Erst seit Oktober 2021 gibt es dank eines neuen Präparates einer Pharmafirma diese Möglichkeit der Hyposensibilisierungstherapie, so Kuhnigk. Seit dem vergangenen Sommer gehört die Kinder- und Jugendklinik des Marienhospitals in Bottrop zu den „wenigen Krankenhäusern in NRW“, die diese Therapie nach sorgfältiger Vorbereitung anbieten. Der Chefarzt und Allergologe sagt, dass deutschlandweit bei insgesamt 200 Patientinnen und Patienten eine solche Immuntherapie eingeleitet worden sei. Sechs junge Allergiker haben bislang den Weg nach Bottrop gefunden. Im Ruhrgebiet werde das gleiche Angebot sonst noch in Bochum gemacht.
In Bottrop sind Kinder und Jugendliche richtig, die schwere allergische Reaktionen auf Erdnüsse zeigen. Dazu gehört nicht das leichte Kribbeln auf der Zunge. Aber wenn zum Beispiel die Haut betroffen ist plus einer Atemnot, plus Herz-Kreislauf-Problemen oder plus Erbrechen und Durchfall – dann ist das schwerer zu bewerten. Zumal schon geringe Mengen reichen, um zu heftigen bis hin zu lebensgefährlichen Reaktionen zu führen. „Sie gehören zu den Allergenen, die mit die gefährlichsten im Kinder- und Jugendalter sind.“
Mit den jungen Patientinnen und Patienten wird zunächst ein ambulantes Vorgespräch geführt und die Diagnose gesichert. Zur Einleitung der Therapie bleiben die jungen Patientinnen und Patienten für eine Nacht stationär im Krankenhaus. Anschließend gehen sie in die ambulante Versorgung; entweder an der Klinik selbst oder bei niedergelassenen Ärzten, die die Weiterbetreuung gerne übernehmen möchten.
Therapie verwandelt Allergiker nicht in unbeschwerte Erdnussesser
Denn die Steigerung der Dosis, die im ersten halben Jahr alle 14 Tage nötig ist, sollte unter ärztlicher Beobachtung gemacht werden. Eine Stunde nach Schlucken des Präparates bleiben die Allergiker dabei sicherheitshalber noch in der Klinik bzw. Praxis. „Die Wahrscheinlichkeit, dass es zu Nebenwirkungen kommen kann, ist hier höher als bei anderen Sensibilisierungen“, erläutert Kuhnigk.
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Nach einem halben Jahr sei der höchste Level der Therapie erreicht, diese wird aber noch rund drei Jahre fortgeführt. Das Ziel ist dabei nicht, das überreagierende Immunsystem so zu trainieren, dass die Allergie komplett verschwindet und Betroffene zu Erdnussessern werden, betont Dr. Mirco Kuhnigk. Sondern: „Man möchte die Gefahr abwenden. Das heißt, der Patient verträgt am Ende drei komplette Erdnüsse.“ Was eine versehentliche Einnahme von Erdnuss-Spuren weniger gefährlich macht, weil eine schwere Anaphylaxie nicht mehr zu erwarten ist.
Chefarzt: Auswirkungen werden flächendeckend unterschätzt
Und diese Erdnuss-Spuren, die begegnen einem im Alltag viel öfter, als man als Nicht-Betroffener vermuten würde. Beispiel Schokolade, bei der es in der Deklaration auf der Verpackung heißt: Kann Spuren von Erdnüssen enthalten. Das kann bedeuten, erklärt Kuhnigk, dass im Produktionssystem vielleicht eine Erdnuss hängen geblieben ist, die in die eigentlich nuss-freie Schokolade gerät. „Das kann schon eine relevante Menge sein, um eine schwere allergische Reaktion auszulösen.“ Allerdings eben nicht mehr nach erfolgreichem Abschluss der Therapie.
In Deutschland sind etwa 0,5 bis 1,1 Prozent aller Kinder von einer Erdnussallergie betroffen, heißt es auf der Internetseite leben-mit-erdnussallergie.de, einer Initiative der Aimmune Therapeutics Germany GmbH. Vielleicht weil die Allergie so selten vorkomme, würden ihre – eben auch seelisch belastenden – Auswirkungen auf die Kinder und Jugendlichen flächendeckend unterschätzt, meint der Bottroper Kinderklinik-Chef. „Die, die es betrifft, haben einen hohen Leidensdruck.“ Da Erdnüsse zu den Hülsenfrüchten zählen, werden diese von Betroffenen ebenfalls häufig nicht vertragen. Andererseits: „Nicht jeder Erdnussallergiker muss auf echte Nüsse verzichten.“ Tue dies aber häufig allein aus Angst und Unsicherheit.
Die neue Immuntherapie bei Erdnussallergie ist seiner Einschätzung nach „ein Meilenstein für die Betroffenen“. Die Kosten werden von den Krankenkassen übernommen.
Kontakt zur Kinderklinik
Zur Kinderklinik am Marienhospital Bottrop gehört eine Allergologische/Pneumologische Kinder-Ambulanz. Genutzt werden kann das Angebot auf Überweisung von Fachärzten für Kinder- und Jugendmedizin oder direkt von privatversicherten Familien.
Kontakt zur Kinderklinik: 02041 106 1501; E-Mail paediatrie@mhb-bottrop.de