Bottrop. Malte Nierobisch (19) hat sich für die Letzte Generation auf dem Rollfeld festgeklebt, war einen Monat im Gefängnis. Das ist seine Motivation.
Seit sechs Tagen ist Malte Nierobisch auf freiem Fuß beim Gespräch in einem Café in der Bottroper Innenstadt. Er trinkt einen Cappuccino mit Hafermilch, seine Haare sind oben zurückgegelt, an den Seiten millimeterkurz rasiert. „Stoppt den fossilen Wahnsinn“ ist auf seinem T-Shirt zu lesen.
Am 8. Dezember hat sich der 19-Jährige mit drei Mitstreitern der „Letzten Generation“ auf dem nördlichen Rollfeld des Münchener Flughafens festgeklebt und für eine Dreiviertelstunde den Verkehr auf Deutschlands zweitgrößtem Flughafen lahmgelegt. Drei weitere Aktivistinnen wurden aufgehalten, bevor sie ihre Hände mit Klebstoff auf dem Asphalt der südlichen Rollbahn befestigen konnten.
In den Tagen zuvor hatte Malte sich an einer Schilderbrücke auf der A96 bei München-Laim festklebt. Die Aktivisten legen sich dabei mit Kleber gefüllte Metallrohre um die Finger. „Das ist sehr schwierig abzubekommen“, sagt Malte. Bei ihm seien die Metallrohre abmontiert worden, manchmal müssen sie weggeflext werden. Anschließend blockierte er mit anderen Mitgliedern der Letzten Generation den Stachus, einen Verkehrsknotenpunkt in der Innenstadt, am nächsten Tag eine Autobahnausfahrt.
Bottroper Aktivist der Letzten Generation zweimal im Gefängnis
Nach der Flughafen-Aktion kamen die vier Aktivisten vor eine Haftrichterin und noch am selben Abend ins Gefängnis – erneut. 23 Tage hatte Malte Nierobisch zuvor schon in Stadelheim, einer der größten Justizvollzugsanstalten Deutschlands, verbracht. Nicht als Strafe für eine der Protestaktionen, sondern als Präventivhaft, um weitere Straftaten oder schwere Ordnungswidrigkeiten zu verhindern. Ein juristisches Mittel, dass in Nordrhein-Westfalen für einen Tag, in Bayern bis zu einem Monat durchgesetzt werden kann.
Warum macht Malte das, warum geht ein 19-Jähriger aus bürgerlichem Haus, mit Abitur in der Tasche und Studienplatzzusage, bewusst dieses Risiko ein?
Malte spricht ruhig, mit festem Blick, als er erzählt, wie sie ihm am Münchener Flughafen die Kleidung abgenommen habe, die Schuhe, ihn nur in Unterhose und T-Shirt haben warten lassen, bis es zur Haftrichterin ging und schließlich ins Gefängnis, dieses Mal in die JVA Landshut. In Stadelheim hatten sie „wesentliche Sachen abgeklärt“, Bücher, die sie mitnehmen durften, Medikamente, die sie nehmen müssen, Lebensmittel, die sie nicht vertragen.
Nicht so in Landshut, 40 Kilometer vom Münchener Flughafen entfernt. 23 Stunden täglich seien sie anfangs in Einzelzellen gesperrt gewesen, keine Bücher, kein Radio, kein Fernseher, keine Briefmarken, eine Stunde Hofgang – mit Maske wegen der Corona-Quarantäne. Vegane Speisen – die meisten der Aktivisten essen keine tierischen Produkte – habe es zunächst auch nicht gegeben.
„Ich war darauf vorbereitet, soweit man auf Freiheitsentzug eingestellt sein kann“
Eigentlich wollte Malte Nierobisch zum Wintersemester sein Soziologie-Studium an der Universität Duisburg-Essen beginnen. Vergangenes Jahr hatte er sein Abitur am Josef-Albers-Gymnasium abgelegt. Nun hat er gut einen Monat in zwei bayerischen Gefängnissen verbracht. „Ich war darauf vorbereitet, soweit man auf Freiheitsentzug eingestellt sein kann“, sagt der 19-Jährige. Vor allem beim zweiten Mal sei er aber sehr froh gewesen, wieder rauszukommen.
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Er hatte überlegt, direkt weiterzumachen, hat sich dann aber doch für eine Weihnachtszeit bei seinen Eltern in Bottrop entschieden. Eine kurze Pause von den Klimaprotesten. Die Letzte Generation kämpft seit einem Jahr mit aufsehenerregenden Aktionen gegen den Klimawandel. Sie nennt sich so, weil sie glaubt, sie sei die letzte Generation, die den Klimakollaps noch aufhalten könnte. Rund 750 Menschen sollen der Bewegung laut eigenen Angaben in Deutschland angehören.
Straßenblockaden, abgedrehte Pipelines, Feueralarm im Bundestag
Malte Nierobisch schloss sich der Letzten Generation an, nachdem er das Buch „Handeln statt hoffen“ von Carola Rackete gelesen hat, jener Kapitänin, die vor dreieinhalb Jahren trotz Verbots mit libyschen Flüchtlingen, die sie aus dem Mittelmeer gerettet hatte, die italienische Insel Lampedusa ansteuerte. Kernthese ihres umweltpolitischen Buches ist, dass durch den menschengemachten Klimawandel ein globaler Kollaps droht.
„Mir ist beim Lesen bewusst geworden, was dahinter steckt“, sagt Malte Nierobisch. „Wie die Heimat von Menschen zerstört wird, die nichts dafür können. Wie die Ungerechtigkeit verstärkt wird.“ Er habe bei der Flutkatastrophe im Ahrtal geholfen und mit eigenen Augen gesehen, welche Schäden der Klimawandel auslösen kann. Der Bottroper schloss sich der Letzten Generation an, blockierte Straßen in Berlin, drehte Pipelines in Mecklenburg-Vorpommern ab, löste einen Feueralarm im Bundestag aus.
Bottroper Aktivist: „Ich werde sehr lange verschuldet sein“
In seinem Umfeld stößt das nicht überall auf Verständnis, seine Eltern unterstützen ihn zwar, aber sie spüren auch viel Ablehnung von Freunden und Verwandten. „Meine Mutter hat Angst, dass mir bei den Blockaden etwas passiert“, sagt Malte. Dass ein Autofahrer durchdreht und ihn überfährt. Es tue ihm leid, dass seine Familie mit reingezogen wird, dass vermutlich bald eine Hausdurchsuchung stattfindet in seinem Elternhaus, in dem er noch lebt.
Dazu häufen sich die Kosten. Die Blockade des Flugverkehrs, der Kran, der zum Einsatz kommt, um die Aktivisten von der Schilderbrücke zu lösen. „Das werde ich nicht mehr tragen können“, sagt der 19-Jährige. „Ich werde sehr lange verschuldet sein.“
Und doch will er weitermachen. „Es wäre einfach, andere machen zu lassen, nur auf seine persönliche Zukunft zu achten.“ Aber wenn er passiv sei, ließe er die Zerstörung passieren. Er könne verstehen, wenn das nicht jeder so sieht, nicht jeder seine persönlichen Bedürfnisse so zurückstellt wie er. Oder wie seine Mitstreiterin Judith, die für den Kampf gegen den Klimawandel Weihnachten im Gefängnis verbrachte, trotz ihrer beiden kleinen Kinder zu Hause. „Für manche ist das schwierig zu verstehen, aber wir machen das auch für unsere Familien, für die Kinder, weil sie sonst gar keine Zukunft mehr haben“, sagt Malte.
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier kritisiert Letzte Generation
Deshalb setzen sie sich ein für ein Tempolimit 100 auf Autobahnen, für eine Weiterführung des Neun-Euro-Tickets, gegen fossile Brennstoffe. Ihre Mittel sind radikal, erzeugen Aufmerksam, stören andere. Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) nannte die Flughafen-Blockierer „verbohrt“ und „absolut unverantwortlich“. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier kritisierte die Letzte Generation indirekt in seiner Weihnachtsansprache, als er sich wünschte, „dass die Jüngeren sich engagieren, dass sie kritisch sind – ohne der Sache des Klimaschutzes zu schaden, indem sie andere gegen sich aufbringen“.
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Malte Nierobisch gibt sich da konziliant und verständnisvoll, beispielsweise gegenüber Autofahrern, die sich massiv über ihre Straßenblockaden ärgern, weil sie zu spät zur Arbeit, zur Kita des Kindes, nach Hause kommen. „Wir wenden uns nicht gegen die Autofahrer, sondern gegen die Regierung“, sagt der 19-Jährige. „Straßenblockaden verursachen den höchsten Druck, weil sie am meisten stören.“
„Ich kann verstehen, dass andere aufgeben, aber ich möchte nicht aufgeben“
Er referiert über die Schäden im Hitzesommer, über die Wasserknappheit, über sozialen Klimaschutz, der nur in einer gerechten Gesellschaft funktioniert. Deswegen ist er Parteimitglied der Linken und nicht der Grünen. Bei der Letzten Generation will er weitermachen, „so lange wir friedlich bleiben“.
Manch einer findet allerdings Straßenblockaden und Lebensmittelattacken auf Kunst schon jetzt nicht mehr friedlich. CDU-Fraktionschef Friedrich Merz bezeichnete die Protestler kürzlich als „Straftäter“. Trotzdem will Malte Nierobisch die Aktionen des zivilen Ungehorsams auch in NRW voranbringen. Für sein Studium werde er wohl auch im nächsten Semester keine Zeit haben.
„Ich kann verstehen, wenn andere Leute aufgeben, aber ich möchte nicht aufgeben.“ Er wisse, dass er seinen Protest aus einer privilegierten Situation heraus mache. „Ich sehe das als meine Pflicht für andere, die das nicht können.“