Bottrop. Bottrops Oberbürgermeister spricht im Interview über die Corona-Lage, neuen Wohnraum in Bottrop und was er nach der Landtagswahl macht.
Bernd Tischler blickt erneut zurück auf ein anstrengendes Jahr. Seit 22 Monaten bestimmt Corona auch das Leben in Bottrop. Im Gespräch berichtet der Oberbürgermeister, was die Pandemie mit ihm und der Stadt macht, wie er Bottrop neuen Wohnraum schaffen will. Mit Optimismus blickt er auf die Entwicklung der Innenstadt.
Dieses Jahr stand, wie schon das vergangene, im Zeichen von Corona. Was macht das mit Ihnen und der Stadt?
Wir waren sehr gefordert in diesen Pandemie-Zeiten. Ich merke an den Kollegen, die jeden Tag damit zu tun haben, und auch an mir selbst: Das geht nicht so spurlos an einem vorbei, weil es um die Gesundheit von vielen Menschen geht. Umso mehr freue ich mich über die gute Resonanz der Bürgerinnen und Bürger zum Impfen. Dass Bottrop bundesweit so gut dasteht mit den Impfquoten, ist darauf zurückzuführen, dass wir diese Arbeit abgeliefert haben. Das macht einen Verwaltungschef auch ein bisschen stolz.
Bottroper OB Tischler: „Bin optimistisch, dass wir vierte Welle einigermaßen glimpflich überstehen“
Wie bewerten Sie die aktuelle Corona-Lage? Bottrop gehörte meistens zu den Städten mit den niedrigsten Infektionsraten, musste aber kurz vor Weihnachten einen Omikron-Ausbruch bekämpfen, nun ist die Tendenz der Inzidenz wieder deutlich steigend.
Nicht umsonst sagen wir: Seien Sie vorsichtig, lassen Sie sich impfen und boostern, gehen Sie weiterhin zum Testen. Deswegen bleibe ich optimistisch, dass wir angesichts der Impferfolge auch diese schwierige vierte Welle einigermaßen glimpflich überstehen.
Omikron breitet sich weiter aus, auch in Bottrop. Bislang gelten strenge Quarantäne-Regeln für Omikron-Fälle. Welche Auswirkungen kann das auf die Grundversorgung der Stadt haben. Gibt es Notfallpläne, falls es zum Beispiel mal einen großen Ausbruch bei der Feuerwehr gibt?
Wir haben solche Notfallpläne, obwohl wir noch nicht vor dieser Lage stehen. Wir haben bislang keinen Fall in unseren Sicherheitsbereichen.
Wie viel Symbol-Politik steckt hinter den Corona-Entscheidungen der Stadt? Zum Beispiel die Maskenpflicht im Freien wird von vielen kritisch gesehen – an der frischen Luft stecken sich nachweislich kaum Menschen an.
Soweit ich es von Bürgerinnen und Bürgern höre, ist es nicht so, dass da eine konfliktgeladene Situation entsteht. Ich höre manchmal: Muss das denn sein mit der Maskenpflicht in der Innenstadt? Aber wenn man da vernünftig drauf antwortet, ist das auch wieder ok. Andere sagen: Ihr müsst noch stärker kontrollieren, noch mehr machen.
Angriff auf Mitarbeiterin des Impfzentrums: „Versuch, unser Land zu spalten“
Die Proteste gegen die Corona-Maßnahmen nehmen allerdings zu. Auch in Bottrop laufen regelmäßig hunderte Demonstranten durch die Straßen. Zuletzt ist eine Mitarbeiterin des Impfzentrums angegangen worden.
In der Vergangenheit waren die Demonstrationen in Bottrop friedlich und ich wünsche mir, dass es so bleibt. Es sind alle Demonstrationen ordnungsgemäß polizeilich angemeldet und genehmigt worden. Es gibt aber leider Entwicklungen seit Dezember 2021, die gerade in dieser Beziehung nachdenklich machen. Und es darf nicht sein, dass sich Anwohnende oder städtische Mitarbeitende bedroht und angefeindet fühlen. Das ist nicht meine Vorstellung eines funktionierenden gesellschaftlichen Zusammenlebens hier in Bottrop.
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Das Recht einer jeden Bürgerin und eines jeden Bürgers, die eigene Meinung frei zu äußern, ist ein hohes Gut. Demonstrationen müssen erlaubt sein. Wenn aber von Demonstrierenden versucht wird, andere einzuschüchtern und zu bedrohen, dann ist das keine freie Meinungsäußerung und friedliche Demonstration mehr, sondern der Versuch, unser Land zu spalten und die Menschen gegeneinander aufbringen. Daher mein dringender Appell an alle: Bitte sorgen Sie dafür, dass die Demonstrationen in Bottrop friedlich verlaufen!
Neuer Wohnraum in Bottrop: Sanierung von Bestand und Abriss
Was viele Bottroperinnen und Bottroper beschäftigt, ist das Thema Wohnen. Gerade Familien sind auf der Suche nach bezahlbarem Wohnraum. Die GBB reißt zum Beispiel an der Beckstraße nicht mehr zeitgemäßen Wohnraum ab und baut neu. Ist das ein Vorbild für andere Wohnungsbaugesellschaften?
Man muss da differenzieren: Die GBB hat ihre Projekte in der Boy und an der Beckstraße auch auf den Weg gebracht, weil die Häuser in einem wirklich nicht mehr guten Zustand waren. Wenn Sie an die Bestände der Vivawest denken, die in den 60er-Jahren viel gebaut haben, konnten wir über die Innovation City viel modernisieren und erneuern. Deswegen ist Abriss für Vivawest und auch Vonovia keine wirkliche Alternative. Auf die Gesamtstadt gesehen, muss man beides machen. Bottrop ist ein gefragter Wohnstandort mit hohen Preisen. Es ist richtig, das ein oder andere Wohngebiet neu zu machen – ohne ein ökologisch schlechtes Gewissen zu haben.
Das hat die Bezirksvertretung Mitte beim Gebiet am Donnerberg aber anders gesehen und die Verwaltung auch.
Wir sind am Donnerberg ganz am Anfang des Verfahrens. Ich finde es richtig, in dieser idealen Innenstadt-Lage mit recycelten Flächen mit Augenmaß wohnbauliche Entwicklung entstehen kann.
Auch in Grafenwald auf der ehemaligen Bergbaufläche hätte ich gerne Wohnungsbau, um zu erreichen, dass an anderen Stellen in Grafenwald der Freiraum geschützt bleibt. Das ist schönes Beispiel für neuen, attraktiven Wohnungsbau auf recycelten Flächen und an guten Standorten. Das ist insgesamt eine durchdachte Strategie: Wir haben uns über Innovation City um den Bestand gekümmert und bauen möglichst neu auf recycelten Flächen.
Eine Sanierung ist aber auch immer ein Kompromiss. Das, was im Angebot ist, ist nicht immer nachgefragt.
Gehen Sie nach Batenbrock in die Vivawest-Bestände: Die sind top modernisiert und nachgefragt. Generell muss man in Bottrop nicht in große Abriss-Strategien umschwenken. Abriss-Orte wird es nur punktuell geben müssen. Wir haben anders als Gelsenkirchen oder Essen auch kein Problem mit Schrottimmobilien im großen Stil.
Was fehlt denn noch in Bottrop, welcher Wohnraum ist besonders nachgefragt?
Bottrop ist sehr hochpreisig. Ich kriege viele Rückmeldungen von jungen Familien, die Schwierigkeiten haben, sich auf dem Bottroper Markt zurechtzufinden. Deswegen ist es wichtig, für die Zielgruppe neu zu bauen.
Sind die Neubauten denn günstiger Wohnraum für junge Familien? Am Schultenkamp sind die Preise zum Beispiel sehr hoch.
Deswegen hat der Rat den Anteil von sozialadäquatem Wohnraum bei den neuen Wohngebieten verankert. Aber ja, das Bauen in Bottrop ist sehr teuer, und das können wir nicht komplett verhindern.
Bottroper Innenstadt: „Nicht mehr die, die wir alle im Blick hatten“
Blicken wir auf die Bottroper Innenstadt: Ein leidiges Thema bleibt das ehemalige Karstadt-Gebäude. Home24 geht, Netto ist immer noch nicht da. Wie beobachten Sie die Entwicklung in der City?
Bei dem großen Komplex Bottroper Innenstadt muss man noch mal an das denken, was wir immer gesagt und Sie immer geschrieben haben: Nach Corona ist die Bottroper Innenstadt nicht mehr die, die wir alle im Blick hatten. Das ist kein Bottroper Phänomen, sondern ein europaweites.
Wir haben Glück gehabt, dass die Fakt AG das Hansa-Center gekauft hat. Auch bei der Karstadt-Immobilie ist mit dem Netto-Markt zu rechnen. Wir werden gucken, ob das so kommt. Wir als Stadt organisieren die Begleitmusik, passen auf den Markt auf, reduzieren die Leerstände mit dem Sofortprogramm Innenstadt. Da sind wir landesweit in einer führenden Rolle, weil wir uns sehr schnell gekümmert haben.
Wie sichern Sie beim Sofortprogramm Innenstadt die Nachhaltigkeit? Was passiert, wenn die Fördermittel auslaufen, die Ladenlokale nicht mehr die Miete gemindert bekommen und das gegebenenfalls nicht überleben?
Die Gefahr ist da. Wir haben versucht, sorgfältig die Konzepte auszuwählen. Dass sie die Chance haben zu überleben, hängt aber von mindestens zwei Faktoren ab: Sagt der Eigentümer am Ende der Frist, dass er über die Miete verhandelt? Und sind die neuen Unternehmer wirklich so wild entschlossen und trauen sich zu, dass sie das weitermachen? Das ist ein Thema mit ungewissem Ausgang, aber ich bin davon überzeugt, dass das der Innenstadt hilft.
„Das mit dem Freuen ist beim Karstadt-Gebäude schwieriger“
Blickt man auf Hansa-Center und das ehemalige Karstadt-Gebäude ist die Außenwirkung doch recht unterschiedlich: Auf der einen Seite ist da Hubert Schulte-Kemper, der mit der Essener Fakt AG einen Namen in dieser Region hat, auf der anderen die norddeutsche Devello AG, die bislang ihre Ankündigungen nicht einhält. Wie bewerten Sie die beiden Investoren?
Ich bin beim Hansa-Center ein gebranntes Kind. Ich habe schon zweimal mit Investoren im Rathaus gesessen, die gesagt haben: Wir machen das. Aber bei Herrn Schulte-Kemper haben wir keinen Grund, daran zu zweifeln, wenn er mir sagt, dass es nächstes Jahr losgeht. Und darauf können wir uns freuen. Das mit dem Freuen ist beim Karststadt-Gebäude schwieriger. Die Kommunikation ist deutlich schleppender. Auch da sagt mir der Investor, es geht im nächsten Jahr los, aber ich weiß es nicht.
Wäre es Ihnen lieber, das Karstadt-Haus wäre in Bottroper Hand?
Ja, natürlich. Ich weiß aber nicht, welche Nutzung dann darein käme.
„Tolle, neue gewerbliche Entwicklungsmöglichkeiten in Bottrop“
Weg von der Innenstadt: Welche Anstrengungen sind nötig, um Bottrop noch attraktiver für Gewerbeansiedlungen zu machen?
Wir sind sehr attraktiv, der Beleg ist: Wir haben keine freien Flächen. Deswegen sind wir mit der RAG aktiv, uns um die Bergbauflächen zu kümmern. Gleichwohl: Bis diese Betriebspläne entscheidungsreif auf dem Tisch liegen, fließt noch etwas Wasser die Emscher runter, weil man die Bodenuntersuchungen machen muss, den Abriss machen muss. Wir sind da exzellent vorbereitet und finanziell ausgestattet. Wir sind dran, konkrete Maßnahmen für diese Gewerbeflächen auf den Tisch zu legen. Ich habe die Perspektive, dass es in Bottrop mittelfristig tolle, neue gewerbliche Entwicklungsmöglichkeiten gibt.
Geht das schnell genug?
Das geht mir nicht schnell genug, aber es ist nicht zu ändern. Da, wo wir können, werden wir die ein oder andere gewerbliche Entwicklung im nächsten Jahr schon ermöglichen.
Zum Abschluss die Frage, um die sich viele Gerüchte ranken: Was machen Sie nach dem 15. Mai, wenn NRW seinen neuen Landtag gewählt hat?
Es ist in der Tat so, dass es schon aus der Privatwirtschaft immer mal die ein oder andere Anfrage gibt, das hat auch mit Innovation City zu tun. Ich habe aber immer gesagt: Es gibt nichts Schöneres als Oberbürgermeister von Bottrop zu sein.
Keine Privatwirtschaft, keine Landespolitik?
Genau.
Saalbau weicht Rathauserweiterung
Die Rathauserweiterung ist eines der Themen, die die Stadt in diesem Jahr beschäftigen wird. Man habe sich gemeinsam mit externen Beratern viele Gedanken gemacht, wie das Büro der Zukunft aussehe, so Bernd Tischler. Anfang des Jahres wolle man die Pläne den Gremien vorstellen und im Lauf des Jahres einen Architekturwettbewerb ausloben. „Unser Ehrgeiz ist es, mit diesem neuen Gebäude eine ähnlich wertvolle Architektur zu schaffen, wie unsere Vorgänger das mit dem heutigen Rathaus gemacht haben“, legt der OB die Messlatte hoch. 500 Mitarbeiter der Stadt sollen in dem Neubau Platz finden. Entsprechend sei das auch Teil der Innenstadtstrategie. Denn von so vielen Menschen profitierten am Ende auch die Gastromeile und die Geschäfte in der Stadt, so Tischlers Überzeugung.Ebenfalls wichtig für ihn: Durch die Bündelung der Verwaltung mache man an anderer Stelle – etwa an der Prosperstraße mit dem Jugendamt – Platz, um Wohnflächen zu entwickeln.Im Zuge des Sparpakets fällte der Stadtrat die Entscheidung, den Saalbau aufzugeben. Im Februar folgte 2019 der Beschluss, dass Gebäude abzureißen und so auf einem Teil des Grundstücks Platz zu schaffen für eine Rathauserweiterung. Da fiel auch schon die Entscheidung für den Architektenwettbewerb. Der sollte schon 2021 ausgelobt werden, für 2022 peilte man damals schon den Baubeginn an.