Bottrop. Ein Afghane, der in Bottrop lebt, und die Flüchtlingshilfe schildern ihre Erlebnisse. Die Sorge gilt den Mädchen und Frauen in Afghanistan.

Die Ereignisse in Afghanistan zerreißen ihm das Herz. Die WAZ hat mit einem Afghanen gesprochen, der in Bottrop lebt, seinen Namen aus Angst aber nicht nennen möchte. „Mir geht es ganz, ganz schlecht“, sagt er. Und das war schon bevor sich die Ereignisse am Donnerstagnachmittag überschlugen. Die Bundeswehr stellte die Rettungsmission ein, gleichzeitig kam es vor dem Flughafen von Kabul zu mindestens einer Explosion, möglicherweise ein Selbstmordattentat, mehrere Menschen starben.

Doch schon vor diesen dramatischen Ereignissen hat der Bottroper nachts kaum ein Auge zumachen können. Mithilfe des Nachrichtendienstes „Whatsapp“ hält er täglich Kontakt zu Freunden in seinem Heimatland. Ein Teil seiner Familie lebt noch in Kabul. Die Bilder und Videos, die er zu Gesicht bekommt, lassen ihn nicht schlafen. Sie sind nicht zu vergleichen mit denen, die im deutschen Fernsehen gezeigt werden. „Das, was ich bekomme, ist aus erster Hand“, sagt er.

Große Sorge gilt den Frauen in Afghanistan

Manchmal versagt ihm die Stimme. Als er über die chaotische Lage in Afghanistan spricht, wird er für einen kurzen Moment von seinen Gefühlen übermannt, er weint. So wie ihm geht es den meisten Afghanen, die in Bottrop leben. „Die sind fertig mit den Nerven“, weiß er aus Gesprächen. Viele von ihnen sind wütend über Ashraf Ghani. Der Staatspräsident machte sich nach dem Aufstand der Taliban mit einem Helikopter aus dem Staub. Gerüchten zufolge floh er mit einem Koffer voller Bargeld. Er lebt aktuell im Exil in den Vereinigten Arabischen Emiraten. Zurück ließ er ein chaotisches Land.

Besorgt ist er vor allem um die Frauen, die nicht rechtzeitig mit dem Flugzeug aus Kabul ausgeflogen werden konnten. Er erzählt die Geschichte, die er gehört hat, wie ein 12-Jähriges Mädchen von den Taliban einfach mitgenommen und aus dem Kreis der Familie gerissen wurde. Wenn sich die Familie geweigert hätte, wären sie von den Taliban getötet worden. Die Taliban leben nach dem Gesetz der Scharia. Die Rechte der Frauen werden stark eingeschränkt. Das haben zahlreiche afghanische Mädchen und Frauen unter den Taliban schon einmal erlebt. Es wird befürchtet, dass ihnen das gleiche Schicksal wieder droht.

In Afghanistan floriert der Menschenschmuggel

Dass die Geheimdienste, Militärs, Politiker und Regierungen überrascht wurden vom Tempo der Eroberungen durch die Taliban, kann er nicht glauben. „Die wussten alles. Die wussten, dass die Taliban kommen“, sagt er. Die Männer und Frauen, die es nicht ins Flugzeug geschafft haben, werden andere Wege suchen, um das Land zu verlassen. Seiner Meinung nach läuft zurzeit die große Stunde der Schleuser.

Dagmar Kaplan von der Flüchtlingshilfe steht mit afghanischen Familien in Bottrop ständig in persönlichem Kontakt und im Austausch. „Helft uns“, ist einer der häufigsten Sätze, den sie hört. Direkte Unterstützung vor Ort kann die Flüchtlingshilfe jedoch nicht leisten. Zuhören und seelische Begleitung gehören momentan zu den wichtigsten Aufgaben.

Afghanen wollen zurück, um Verwandten zu helfen

Mit „Verzweiflung“, „totale Ohnmacht“ und „Hilflosigkeit“ beschreibt sie die Gefühlswelt der in Bottrop lebenden Afghanen. Das Handy ist oft der einzige Kontakt zu den Verwandten in der Heimat. Was die Menschen dort benötigen ist Geld. Momentan gestaltet sich die Überweisung nach Afghanistan extrem schwierig. „Es geht nur noch über sichere und verdeckte Kanäle. Denn es gibt ja nichts mehr, was nicht von den Taliban kontrolliert wird“, sagt Kaplan.

Aus Gesprächen hat sie erfahren, dass einige ernsthaft darüber nachdenken, zurückzukehren, obwohl sie wissen, was für ein Leben unter dem Taliban-Regime auf sie wartet. Um diesen schicksalhaften Entschluss zu erklären, nennen sie einen einzigen Grund. „Nur um ihren Verwandten zu helfen“, so die stellv. Vorsitzende.

Bottrop soll Flüchtlinge aufnehmen

Andere Städte im Ruhrgebiet haben bereits angekündigt, Flüchtlinge aus Afghanistan aufnehmen zu wollen. Etliche Parteien haben ihre Forderung lautstark kundgetan. Die Bottroper Politik und die Stadt halten sich bisher mit Aussagen bedeckt - im Gegensatz zur Flüchtlingshilfe. „Auf jeden Fall sollen Flüchtlinge aufgenommen werden“, meint Dagmar Kaplan. Aber sie betont auch, dass die Politik genau hinschauen und sehr wachsam sein muss, wer sich unter den Ausgewanderten befindet.

Auftaktveranstaltung: Aktion Seebrücke

Ab Donnerstag, 16. September, findet in Bottrop die Auftaktveranstaltung zur „Aktion Seebrücke“ um 18 Uhr statt. „Auch Afghanistan wird ein Thema sein“, sagt Dagmar Kaplan vom Vorstand der Flüchtlingshilfe Bottrop.In Bottrop hat sich eine Koordinierungsstelle mit zahlreichen Akteuren, die gut vernetzt sind, aufgebaut. Als Ort für die Veranstaltung wurde der Lichthof im Berufskolleg ausgewählt. Ausführliche Informationen zur Seebrücke unter https://seebruecke.org und zur Flüchtlingshilfe Bottrop unter https://fluechtlingshilfe-bottrop.de.

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