Bottrop. Der Leiter blickt zurück auf die letzten Corona-Monate. Tausende Kinder haben bei ihm auf dem Rad den sicheren Umgang im Straßenverkehr gelernt.
Reinhard Lücke ist wieder in der Jugendverkehrsschule. Für ein Gespräch mit der WAZ-Redaktion ist deren Leiter in den Klassenraum und auf den Verkehrsübungsplatz am Maybachweg zurückgekehrt. Unzählige Stunden hat er an diesen Wirkungsstätten unterrichtet und Tausenden Viertklässlern aus Bottrop in den vergangenen Jahren das Einmaleins des Fahrradfahrens beigebracht.
Zum Schuljahr 2014/15 übernahm der pensionierte Polizeibeamte das Amt von seinem Vorgänger Rolf Grubinski. Mit dem Ende dieses Schuljahres wartet auf ihn der zweite Ruhestand. Beim Besuch im Klassenraum scheint die Zeit stehengeblieben zu sein. Seit Ende Oktober findet hier kein Theorieunterricht mehr statt. Der Grund ist die Pandemie. In einer Ecke hängt eine Ampelanlage an der Wand, daneben verschiedene Fahrradhelme. An der Fensterseite steht ein Fahrrad als Anschauungsprojekt, an dem erklärt wird, welche Bestandteile ein verkehrssicheres Rad benötigt.
Das Motto der Jugendverkehrsschule in Bottrop: Vormachen, mitmachen!
Auf den Stühlen haben eine gefühlte Ewigkeit keine Kinder mehr gesessen. Vor dem Ausbruch der Pandemie war täglich Leben in der Bude. Er habe immer einen gesamten Schuljahrgang der Stadt Bottrop unterrichtet. „45 Klassen mit mehr als 1000 Kindern“, sind im Durchschnitt bei ihm gewesen. Anstatt in Sitzreihen mit Blick zur Tafel sitzen bei ihm die Schüler in einem Stuhlkreis.
„Ich kenne keinen Frontalunterricht“, sagt Reinhard Lücke. Spielerisch vermittelt er den Mädchen und Jungen die Verkehrssicherheit. Sein pädagogischer Ansatz lautete immer: „Vormachen, mitmachen!“ Zur Not schlüpft er in die Rolle des unvorsichtigen Verkehrsteilnehmers, um den Kindern zu zeigen, welche Tücken und Gefahren im Straßenverkehr lauern. „Kinder lernen durch Abgucken“, meint Lücke.
Reinhard Lücke plant das neue Schuljahr
Zwei Botschaften gibt er ihnen mit auf den Weg: Pflichten beim Linksabbiegen (Rückschaupflicht, Ankündigungspflicht, Einordnungspflicht) und außerdem, wie er sie nennt, die Überlebensregel („Linksabbieger immer zuletzt“). Je nach Klassengröße sitzen zwischen 18 und 28 Kinder in der Jugendverkehrsschule. Aber die Pandemie hat alles verändert.
Im März des vergangenen Jahres plant Reinhard Lücke für das neue Schuljahr. Nach den Sommerferien wird normalerweise an der Jugendverkehrsschule bis zum Dezember unterrichtet. „Dann ist Winterpause bis Februar“, sagt Lücke. Ab März erfolgt bis zum Ende des Schuljahres die weitere Radfahrausbildung durch die Polizei auf der Straße.
Das Corona-Jahr startet in komprimierter Form
Also beginnt Lücke, wie gewöhnlich um diese Jahreszeit, mit der Planung. Die Arbeit ist umsonst. „Wir fangen auf keinen Fall nach den Sommerferien an. Wir warten die Corona-Entwicklung ab“, erinnert er sich an die Aussage vom Fachbereich Jugend und Schule. Das neue Schuljahr in der Jugendverkehrsschule soll diesmal nach den Herbstferien beginnen.
In der ersten Woche nach den Herbstferien startet „das Corona-Schuljahr in abgespeckter Form“, so Lücke. Der frühere Polizeibeamte verfasst ein mehrseitiges Hygienekonzept. Die Schulklassen werden zweigeteilt, Klassen unterschiedlicher Schulen dürfen sich nicht auf dem Schulhof mischen, die Stundenanzahl wird halbiert und der Zugang zum Verkehrsübungsplatz erfolgt hinter dem Gebäude der offenen Ganztagsschule. Unterricht findet nicht im Klassenraum statt. Stattdessen unterrichtet er Theorie und Praxis auf dem Übungsplatz.
Jugendverkehrsschule ist geschlossen
Keine Langeweile im Ruhestand
Im nächsten Jahr wird Reinhard Lücke, aktuell noch Leiter der Jugendverkehrsschule, 70 Jahre alt. Aufs Altenteil will er sich im bevorstehenden Ruhestand nicht legen. Möglicherweise wird er mehr Zeit mit seinen Enkelkindern verbringen. Auf jeden Fall wird er sich weiterhin bei der Verkehrswacht Bottrop engagieren. Eine Sache wird er ganz sicher vermissen: Etliche Kinder haben sich im Laufe der Jahre bei ihm nach dem Unterricht bedankt und ihn umarmt, weil sie so viel Spaß gehabt hatten.
In der zweiten Unterrichtswoche zwingt die Pandemie die Verantwortlichen des Krisenstabs zu einer Entscheidung: Schluss, aus, vorbei. „Das war das Corona-Schuljahr“, sagt Lücke kurz und knapp. 13 Klassen habe er in den knapp sieben Tagen bei sich gehabt. Seitdem ruht die Jugendverkehrsschule und der Übungsplatz mit seinen Verkehrsschildern, Ampelanlagen, Fahrbahnmarkierungen und farbigen Bordsteinen.
Reinhard Lücke geht, es gibt keinen Nachfolger. Die Verkehrserziehung übernimmt ab dem neuen Schuljahr die Polizei mit ihren Verkehrsicherheitsberatern. Wenn sich keine weitere Verwendung für den Übungsplatz findet, schlägt die Verwaltung vor, den Platz zurückbauen zu lassen. Bei dem Gedanken daran blutet ihm das Herz. „In diesem geschützten Raum können die Kinder in Ruhe üben. Hier darf ein Kind auch falsch fahren, und es passiert nichts.“