Bottrop. Kinder leiden besonders unter den Einschränkungen. Bottroper Caritas warnt: Warum die Situation in Familien schlimmer ist als im ersten Lockdown.

Der anhaltende Lockdown hat psychische und gesundheitliche Folgen für Kinder. Sie leiden in vielfacher Hinsicht unter der Pandemie und den Einschränkungen. Das befürchten in einem Brandbrief nicht nur 44 Kinderärzte aus Essen, diese Sorge treibt in Bottrop auch die Beratungsstelle für Eltern, Kinder und Jugendliche der Caritas um. „Eltern wenden sich an uns, weil es im Home Schooling für sie unglaublich schwierig ist, die Kinder zu motivieren, damit sie lernen oder Hausaufgaben machen“, erklärt Diplom-Psychologe Stefan Landmann von der Beratungsstelle

Die Rede ist vor allem von Jungen und Mädchen im Kindergarten- und Grundschulalter. „Die Konzentrationsfähigkeit leidet im Lockdown, weil sie in der Schule nicht trainiert werden kann.“ Dass der soziale Kontakt zu Gleichaltrigen fehlt, sei ein Desaster. Bei der Vermittlung von Bildung und der Persönlichkeitsentwicklung des Kindes könne nichts den Präsenzunterricht ersetzen. So befürwortet Landmann die Öffnung von Schulen und Kindertagesstätten. „Dann erhält der Tag für die Kinder wieder eine Struktur.“

Familien durchleben seit Wochen einen Lagerkoller

Seiner Einschätzung nach hat sich die Lage in Familien im Gegensatz zum ersten Lockdown verschlimmert. Familien mit Kindern durchleben seit Wochen einen Lagerkoller. Sich aus dem Weg zu gehen, sei in den eigenen vier Wänden nicht möglich. Es mangelt zudem an Alternativen. Der Psychologe bekommt von Betroffenen zu hören, dass man doch schon alle Brettspiele mehrfach gespielt habe, und die Kinderspielplätze kenne man auch in- und auswendig. „Wenn aus Nähe Enge wird“, so beschreibt er die angespannte Situation der meisten Familien.

Das genaue Gegenteil sollte aus seiner Sicht der Fall sein. „Als Kind muss man die Welt entdecken, neugierig und draußen sein, soziale Kontakte pflegen und eigene Erfahrungen machen.“ All das wird dem Kind durch den Lockdown genommen. Seit Wochen sieht die Wirklichkeit anders aus. „Kinder sind angehalten nun über einen langen Zeitraum, vorsichtig zu sein, sich zurückzuhalten und permanent Rücksicht zu nehmen, zum Beispiel aus Vorsicht einer Corona-Ansteckung von älteren Menschen wie den Großeltern.“

Notlagen wirken wie ein Brandbeschleuniger

Landmann nennt es ein „Klima der Angst und Sorge“, in der die Kinder aktuell leben. „Das kann nicht gut sein für die kindliche Entwicklung“, befürchtet er. Die Reaktionen auf die Einschränkungen würden reichen von Aggression bis hin zu Rückzug und Depression. Der Psychologe stellt fest, dass auch die Mediennutzung von Kindern im Lockdown zugenommen hat. Die Gründe seien vielschichtig: Eltern sind überfordert oder müssen selbst arbeiten. Das Kind kommt schlichtweg zu kurz. In letzter Konsequenz wird der Nachwuchs einfach vor den Fernseher oder Computer gesetzt.

Die Schere geht weiter auseinander

Diplom-Psychologe Stefan Landmann von der Beratungsstelle der Caritas ist besorgt über die nachhaltigen Folgen der aktuellen Situation in Familien.

Er befürchtet, „dass dieser zweite Lockdown dazu beiträgt, dass die Schere zwischen den Familien, die schon immer in der Lage waren, sich gut zu organisieren, und den Familien, die schon immer auf Hilfe und Beratung angewiesen waren, weiter auseinander gehen wird“.

Existenzielle Notlagen der Eltern in der Corona-Pandemie können laut Landmann zusätzlich zu einem „Brandbeschleuniger“ werden. Ersparnisse gehen verloren, die Einnahmen fehlen, der finanzielle Druck innerhalb der Familie wächst. Vater und Mutter sind bisweilen der Situation nicht gewachsen. Als Folge einer „Überlastungssituation kann ihnen gegenüber dem Kind die Hand ausrutschen“, wie Landmann sagt, oder es im schlimmsten Fall schwer misshandeln.