Bottrop. „Wir beatmen hier Menschen, deren Kinder oder Enkel Masken nicht so wichtig fanden.“ Schilderungen aus dem Bottroper Knappschaftskrankenhaus.
Wer auf einer Intensivstation arbeitet, ist mit schweren, lebensbedrohlichen Erkrankungen vertraut. Doch Corona ist auch für gestandene Mediziner und Pflegekräfte neu, eine Herausforderung, medizinisch und menschlich. Ärzte und eine Pflegefachkraft vom Knappschaftskrankenhaus berichten vom Alltag auf der so genannten ITS.
Stephan Morrosch (48), Leitender Oberarzt Anästhesiologie und Intensivmedizin, erzählt: „Wir haben uns an die neuen Hygieneregeln gewöhnt. Patientenkontakt erfolgt mit FFP-Maske, wir testen alle Patienten bei oder sogar vor der Aufnahme. Jeder Mitarbeiter trägt während der gesamten Arbeitszeit einen Mund-Nasen-Schutz. Die Intensivstation hat einen besonders abgetrennten Bereich für die Patienten mit einer Corona-Infektion, der über eine Schleuse betreten wird. Dort erfolgt der Zugang nur mit spezieller Schutzkleidung. Glücklicherweise sind wir zurzeit gut mit dem nötigen Material versorgt.“
Patienten brauchen den vollen Pflege-Umfang
Die Versorgung eines Covid-19-Patienten hängt vom Verlauf der Erkrankung ab. Morrosch: „Auf der Intensivstation müssen bei manchen Patienten viele Körperfunktionen unterstützt werden, so kommen Beatmung, Kreislauftherapie oder sogar extrakorporale Lungenersatzverfahren – ECMO – zum Einsatz. Dabei wird das Blut außerhalb des Körpers mit Sauerstoff versorgt und Kohlendioxid eliminiert. Dieses Verfahren ist vergleichbar mit einer Dialysetherapie, jedoch wird hier nicht die Niere, sondern die Lungenfunktion unterstützt. Pflegerisch müssen diese Patienten natürlich vollumfänglich versorgt werden.“ Was das für die Pflegekraft bedeuten kann, beschreibt die stellvertretende pflegerische Leiterin der ITS, Silke Nawrocki (36): „Wir versorgen den Patienten drei bis vier Stunden am Stück im Isolierzimmer. Man muss gut planen und alles mit hinein nehmen, was man braucht. Das ist anstrengend, gehört aber dazu.“
Sie sieht die besondere Herausforderung von Corona hierin: „Die Patienten benötigen eine gesonderte Betreuung. Nicht nur was die Pflege betrifft, sondern auch die Logistik, strenge Hygienemaßnahmen sowie die Personalverteilung, während auch noch andere schwerkranke Patienten ohne Covid-Infektion versorgt werden müssen.“ Eine Unterstützung ihrer Arbeit wünscht sich Nawrocki vor allem in der Form, dass alle Bürger die Hygieneregeln einhalten.
Die Angst, irgendwann nicht mehr genug tun zu können
Auch Dr. Johannes Ammon (58), internistischer Oberarzt der ITS, sieht besondere Herausforderungen. Das eine sei der Kampf mit einer Erkrankung, die man noch nicht gut kenne. „Das andere ist die absehbare Häufung von schwerst kranken Menschen, die Angst irgendwann einmal nicht mehr genug tun zu können. Wir wollen nicht in die Situation kommen, wo wir trotz allem Engagement nicht mehr jedem die Behandlung zukommen lassen können, die er oder sie verdient.“
Die Verweildauer auf der ITS sei sehr unterschiedlich. „Gerade bei Corona sind die Patienten teils sehr lange, zwei Wochen und länger, auf der ITS“, so Ammon – und erholen sich durchaus. Das binde aber viel Kapazität an Plätzen und Personal. Bei verschiedenen Beatmungsmöglichkeiten versuche man im Übrigen, möglichst ohne Intubation auszukommen.
Doch nicht alle Patienten konnten die Mitarbeiter retten, einige verstarben an den Folgen einer Corona-Infektion.
Besuchsverbot - eine die Pandemie-Tragödie
Wer mit Covid-19 auf der Intensivstation liegt, ist oft auch angstbeladen, weiß Ammon – und allein. „Das Besuchsverbot ist notwendig, trotzdem finde ich es schlimm. Es ist eines der größten menschlichen Probleme der Pandemie-Tragödie.“ Den Patienten – trotz aller hygienisch gebotenen Distanzierung – noch ein menschlich-herzliches Gegenüber zu sein, das ist ihm wichtig. „Viele unserer Pflegekräfte sind gut darin, persönlich auf die Leute zuzugehen. Das braucht man.“
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Dr. Guido Trenn, Chefarzt der Klinik für Innere Medizin I, sieht auf der anderen Seite auch die Not der Angehörigen und darin eine Aufgabe, die Kommunikation mit ihnen aufrecht zu erhalten und dabei Trost über das Telefon zu spenden.
Menschen, die behaupten, Corona sei nicht gefährlicher als eine Grippe und/oder Schutzmaßnahmen ablehnen, haben die Krankenhaus-Praktiker Deutliches zu sagen. Morrosch: „Manchmal würde ich mir wünschen, dass diese Menschen auf eine Intensivstation gehen könnten, um sich mit eigenen Augen von der Schwere der Erkrankung zu überzeugen.“ Trenn würde den Betreffenden zurufen wollen, „dass sie bitte nicht in letzter Konsequenz ihrer Verweigerungshaltung gegenüber einer Corona-Existenz auch die eventuell bei ihnen auftretenden Symptome einer Infektion negieren und dann zu spät zum Arzt gehen. Dann hätten sie sich endgültig ins Abseits gestellt“.
Milde Verläufe werden oft doch noch schwer
Silke Nawrocki meint: „Ich habe leider zu oft gesehen, dass es nicht nur eine normale Grippe ist. Oft sind es erst milde Verläufe, die sich dann aber doch zu einem schweren Verlauf entwickeln können. Ich kenne selbst Personen, die infiziert waren und heute immer noch Beschwerden haben.“ Und Ammon glaubt, dass es Menschen gibt, die angesichts der Pandemie lieber die Augen zumachen. Er hofft aber, dass es genug klar und rational denkende Menschen in der Gesellschaft gibt. „Wir beatmen hier Menschen, deren Kinder oder Enkel Masken nicht so wichtig fanden.“
Zahl der Covid-19-positiven Patienten
Im Knappschaftskrankenhaus wurden seit Pandemiebeginn (Stand 3. Dezember) 127 Covid-19-Patienten behandelt, 21 sind aktuell im Haus, vier davon auf der ITS. 106 der genannten 127 sind bereits entlassen bzw. an oder in Verbindung mit Corona verstorben (18). 40 der Patienten lagen bisher auf der Intensivstation.
Auch jüngere Patienten seien auf der ITS schon wegen Corona behandelt worden, „jünger als ich“, so der 48-jährige Stephan Morrosch. Auf der Intensivstation gibt es 22 Beatmungsplätze . Sollte das mal nicht ausreichen, können weitere 13 Plätze aktiviert werden.
Chefarzt Dr. Guido Trenn rät Patienten und Angehörigen, vor einer Verlegung zur Intensivstation ihre Vorsorgevollmacht oder Patientenverfügung dem Arzt zu überlassen. Ein Nachreichen der Dokumente nach der Verlegung und erfolgter Einleitung einer künstlichen Beatmung werde dem Patientenwillen nicht gerecht.