Bottrop. Mit seiner historischen Kirmesorgel sorgt Schausteller Albert Ritter für Stimmung bei Senioren in Welheim. Dabei hat seine Zunft auch Sorgen

„Das ist die CD der Jahrhundertwende“, ruft Albert Ritter und wedelt mit einer langen, aufgefalteten Lochkarte. Die legt er dann in seine Kirmesorgel ein. Der Blasebalg legt los und aus den Orgelpfeifen ertönt der Schneewalzer. Das alte Schätzchen - die Orgel ist von 1906 - hat noch reichlich Luft und so klingt der Dreivierteltakt laut über den Hof der Seniorenwohnanlage des Arbeiter-Samariter-Bundes in Welheim.

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„Die Lochkarte wird durch die Orgel gezogen und löst entsprechend ein Ventil aus, das dann die jeweilige Pfeife öffnet“, erklärt der Schausteller die über 100 Jahre alte Mechanik, die er aus Altenessen nach Welheim gebracht hat – auf einem Hänger, gezogen stilecht von einem alten Hanomag-Traktor aus dem Jahr 1958. Der mache immerhin 28 Sachen, sagt Ritter – und ist möglicherweise insgeheim froh, dass er mit seinem Trecker nicht aus dem Essener Süden kommen musste.

Bottroper genießen die Nachmittagssonne und das Konzert auf ihren Balkonen

Auf dem Hof und auf den Balkonen der Seniorenwohnungen sammeln sich Bewohner und auch ASB-Mitarbeiter. In angemessenem Abstand zueinander genießen sie die Nachmittagssonne und vor allem die ungewöhnlichen Klänge, die aktuell über den Hof schallen.

Christel und Siegfried Polak lauschen von ihrem Balkon aus dem besonderen Konzert.
Christel und Siegfried Polak lauschen von ihrem Balkon aus dem besonderen Konzert. © FUNKE Foto Services | Lars Fröhlich

Hans Albers ist besonders beliebt, die „Reeperbahn“ klingt über den Hof aber auch „La Paloma, die weiße Taube“ – alles rein instrumental. Mit seiner Musikauswahl trifft Ritter den Geschmack seiner Zuhörer. Mit „Oh mein Papa“ hat er auch was fürs Herz dabei, bevor die Orgel dann bei den Alten Kameraden wieder alles geben darf. Mit reichlich „wumms“ schmettert das betagte Instrument die Marschtakte über den Hof.

In ganz Deutschland sind 24 Orgeln dieser Art unterwegs

Christel und Siegfried Polak sitzen auf ihrem Balkon und genießen die Abwechslung nach den Wochen der Corona-Kontaktsperre. „Ich finde das ganz toll. Es ist endlich mal was anderes nach all den Tagen in der Wohnung“, freut sich Christel Polak. Und auch ihre Nachbarin ist dankbar über diese Abwechslung.

Albert Ritter, der Präsident des Schaustellerverbands ist nicht der einzige, der auf diese Weise Abwechslung in den schwierigen Corona-Alltag der Senioren bringt. „Insgesamt sind in ganz Deutschland 24 Orgeln dieser Art unterwegs“, berichtet er vom Engagement seiner Kollegen. „Wir Schausteller können nicht einfach nur rumsitzen. Menschen Freude zu bereiten ist ja unser Beruf“ sagt er.

Albert Ritter genießt es, seinen Zuhörern so viel Freude zu bereiten

Und auch an anderer Stelle seien Schaustellerbetriebe aktiv und würden in Corona-Zeiten mit anpacken. „In Dortmund etwa setzen die Kollegen ihre Fahrzeuge für die Tafel ein“, sagt Ritter. Und dass, obwohl auch seine Branche vor schweren Zeiten steht. „Wir haben zuletzt auf den Weihnachtsmärkten Geld verdient“, so der Präsident des Schaustellerverbands. Normalerweise läuft die Saison für die Betriebe nun an, doch Jahrmärkte und Kirmesveranstaltungen fallen derzeit auch aus. „Wir brauchen für Schausteller einen staatlichen Rettungsschirm“, fordert Ritter dann auch.

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Zurück auf den Hof nach Welheim. Die fröhlichen Menschen, die klatschen und mit summen, für Ritter ein toller Anblick. „Das ist jetzt mein 13. Auftritt dieser Art und es ist immer wieder schön zu sehen, wenn die Zuhörer auf ihrem Balkon stehen, tanzen und sich einfach nur freuen. Es macht Spaß.“

Weitere Konzerte beim ASB geplant

47 Seniorenwohnungen vermietet der ASB in Welheim. Auch der Pflegedienst hat hier seinen Sitz, ebenso die – derzeit geschlossene – Begegnungsstätte. Weil das Konzert mit der Kirmesorgel so gut ankommt, plane man nun eine regelmäßige Wiederholung, sagt ASB-Geschäftsführerin Annika Schulze-Aquack. Jede Woche soll ein anderer Künstler im Innenhof der Anlage auftreten, und so Bewohnern aber auch Mitarbeitern etwas Ablenkung bieten.

Der Auftritt von Albert Ritter kam über den Kontakt des zweiten ASB-Geschäftsführers, Dirk Heidenblut, zustande. „Ich habe von der Idee erfahren und hatte dann den Einfall, ihn auch hier nach Welheim einzuladen.“