Bottrop. DerWesten war bei einer OP im Knappschaftskrankenhaus dabei. Blutig war es nur auf den Bildschirmen. Türchen Nummer fünf unseres Adventskalenders.
Lautlos öffnet sich die Tür, die für Dr. Klaus Peitgen der Weg zum Arbeitsplatz, für den gemeinen Menschen aber der Eingang in eine Welt ist, in die er in seinem Leben allenfalls in tiefem Schlaf eintritt. Während der Chefarzt für Chirurgie die Schleife seines Mundschutzes hinter dem Kopf festzurrt, schaut er herüber zum Tisch, auf dem Pfleger André Vonderlippe den Patienten Frank Neubert (Name von der Redaktion geändert) desinfiziert. Von oben strahlt das gleißende OP-Licht einen kugeligen, gelben Bauch an. Die Gallenblase gilt es heute zu entfernen – eine von jährlich 300 im Knappschaftskrankenhaus.
Etwas früher in einem abgedunkelten Raum im ersten Stock: Frühbesprechung. Welche Patienten wurden gestern untersucht? Wie war die Nacht auf den Stationen? Was ist für heute geplant? An der Fensterbank lehnt Dr. Peitgen. Zwölf weitere Ärzte, Krankenpfleger und -schwestern verteilen sich auf vier Stuhlreihen. Vorne wirft die Radiologin Dr. Svenja Hennings Röntgen-, CT- und MRT-Bilder an die Wand. „Die war süß oder?”, lächelt Dr. Hennings, als sie auf eine 95-Jährige mit Ellbogenverletzung zu sprechen kommt. Man ist sich einig. Anders im nächsten Fall: Bei einem Mann Ende 50 besteht der Verdacht auf Pankreaskrebs. „Mir ist das zu dünn”, sagt ein Arzt – und setzt eine weitere Computertomografie durch. Der Rest sind Aufnahmen von Knien, Schultern, Wirbelsäulen, unterlegt mit einem Feuerwerk an Fachbegriffen, das an Arztserien à la „Dr. House” erinnert. Zwischendurch piepen Telefone: ein Anruf aus der Ambulanz, dann das Okay aus dem OP – der Chefarzt kann kommen.
Nur kleine Schnitte
Gegen halb neun steht Dr. Peitgen im Saal fünf des vor zwei Jahren auf den neuesten Stand der Technik gebrachten OP-Traktes. Seine Hände und Unterarme hat er drei Minuten lang desinfiziert. Nun beginnt er, am Bauchnabel seines Patienten einen zentimeterlangen Schnitt zu machen, durch den er Kamera und Gerätschaften in den Bauchraum einführt. „Die Bauchdecke schneiden wir in der Regel nicht mehr komplett auf”, erklärt er. „Der Patient würde allein dadurch für ein paar Tage krank.” Er macht drei weitere Schnitte im Bauchbereich. Einen nutzt er dazu, CO2 in den Bauch zu pumpen, um die Organe von der Bauchdecke zu trennen und zugänglicher zu machen. Sein Blick – und der seiner Assistenzärztin Dr. Eszter Kugler und des Azubis Tobias Vonscheidt – weicht zu keiner Zeit von einem der beiden Bildschirme, die ins Innere schauen – in HDTV! Derweil beobachtet ein Anästhesiepfleger EKG, Blutdruck und Puls des Patienten. Der Puls wird später auf über 110 Schläge pro Minute ansteigen.
"Eine echte Fettleber!"
„Oha!”, ruft Dr. Peitgen, als er die Leber des noch jungen Patienten zu sehen bekommt. „Eine echte Fettleber”, analysiert er. Sie hat ein geschecktes, leopardenartiges Muster. „Alles andere als normal in dem Alter.” Die Gallenblase ist stark vernarbt und an einigen Stellen mit der Leber verwachsen. „Kein leichter Fall”, sagt der Operateur kurz, ehe er sich daran macht, die Vernarbungen abzuschneiden. Kein „Chefarzt-Eingriff”, wie Kollegen gerne über besonders einfache Operationen frotzeln.
Beim Lösen der Gallenblase fallen einige Gallensteine heraus. Gelblich und fast walnussgroß erscheinen sie auf den Bildschirmen. Dr. Peitgen packt sie nacheinander mit einer Klemme und legt sie zu der Gallenblase in einen Plastikbeutel, den er durch einen der Zugänge eingeführt hat. „Ich glaube, da ist noch ein Stein”, sagt Azubi Vonscheidt zaghaft, als die Arbeiten schon dem Ende zustreben. Tatsächlich. Zurückhaltung aus übersteigertem Respekt oder Angst vor dem Chef soll hier keiner zeigen. „Es ist sogar die Pflicht eines jeden, zu sagen, wenn ihm etwas auffällt.” Als „Birgen-Air Phänomen” bezeichnen sie das: Mitte der 90er war eine Maschine der türkischen Fluglinie mit knapp 200 Insassen an einem Berg zerschellt, weil der Co-Pilot sich nicht getraut hatte, seinem Piloten Widerworte zu geben.
Aus dem Radio tönt "Billie Jean"
Nach einer knappen Stunde ist der Eingriff geschafft. „Nichts Wildes zu beachten”, murmelt Dr. Peitgen, als er den Arztbrief ausfüllt und mit Aufnahmen von der OP versieht. „In zwei bis drei Tagen kann der Patient nach Hause.” Derweil bereitet sich Kollege Dr. Jörg Celesnik schon auf die nächste Gallenblasen-OP vor. Als er zum ersten Schnitt ansetzt, tönt „Billie Jean” aus einem Radio an der Wand. Dr. Peitgen steht da schon im „Aufwach-Raum”, der im Knappschaftskrankenhaus den Namen POBE (perioperative Behandlungs- und Überwachungseinheit) trägt. Soeben erwacht Frank Neubert aus der Narkose. „Haben Sie Schmerzen?”, erkundigt sich Dr. Peitgen. Der Patient nickt und verzieht das Gesicht. Die Schwestern geben ihm ein Schmerzmittel. Noch rund zwei Stunden wird Neubert schlafen, bevor ihn Schwestern auf die Station bringen.
Dr. Peitgen wird dann in einer Besprechung sitzen – Verwaltungsangelegenheiten. Für die weiteren Operationen dieses Tages (Gallenblase, Leistenbruch, Dickdarmkrebs, Mastdarmtumor und zwei Narbenbrüche) ist er nicht eingeteilt. Aber man weiß ja nie. Aus der Brusttasche baumelt das Telefon. Der nächste Notfall kommt bestimmt.
In unserer Serie "Adventskalender" öffnen wir jeden Tag eine Tür, hinter der sich eine spannende Geschichte verbirgt. Heute: zum OP-Saal.