Bottrop. . Verjährungsfrist verkürzt: Krankenkassen und Kliniken streiten in tausenden Fällen um Kosten. Präsidentin prophezeit utopische Verfahrensdauern.

Die Hilferufe aus dem Gelsenkirchener Sozialgericht sind laut und deutlich. Kübelweise erreichen Klagen von Krankenkassen und Krankenhausträgern das Gericht. Die 30 Richterinnen und Richter können die Aktenberge nicht bewältigen. „Ein ordnungsgemäßes Arbeiten ist nicht mehr möglich“, klagt Silvia Fleck, Präsidentin des Gerichts, das auch Menschen in Bottrop Rechtsschutz bietet.

Ausgelöst wurde die Klagewelle durch eine Änderung im Pflegepersonal-Stärkungsgesetz. Unter anderem wurde die Verjährungsfrist für Erstattungsansprüche der Krankenkassen von vier auf zwei Jahre verkürzt. Silvia Fleck: „Die Krankenkassen haben ihre Akten nach offenen Fällen durchforstet und wahllos an verschiedenen SozialgerichtenKlagen eingereicht.“ In der Regel befinden sich etwa 350 Fälle im Bestand jeder Kammer. Mit der Klagezunahme könnte die Zahl auf 1000 anwachsen. „Eine Arbeit“, sagt Fleck, „die nicht geleistet werden kann. Unser Apparat funktioniert nicht mehr“.

Aktenberge führen zu Verzögerung von Entscheidungen

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Im November gingen beim Sozialgericht mehrere tausend Klagen gesetzlicher Krankenkassen gegen Krankenhausträger auf Rückzahlung bereits abgerechneter Krankenhauskosten ein. Im Dezember folgten zusätzlich 1500 Klagen von Krankenhausträgern gegen die Kassen. Weitere 1600 Klagen einer Krankenkasse werden per Zuweisung demnächst das Gelsenkirchener Gericht erreichen. Die Kasse hatte ihre Klageschrift bei einem Gericht eingereicht, das nicht zuständig war.

Silvia Fleck bedauert, dass sich vor allem auch Klageentscheidungen zur Grundsicherung verzögern werden. Dies beträfe dann Menschen, bei denen es um existenzielle Fragen, ums Überleben gehe. Im letzten Jahr meldeten Kläger in 3007 Verfahren Ansprüche aus dem Bereich der Grundsicherung für Arbeitssuchende an.

Präsidentin bittet Justizministerium um Hilfe

Sylvia Fleck prophezeit wegen der Klageflut utopisch lange Verfahrensdauern, auf die sich alle einstellen müssen.
Sylvia Fleck prophezeit wegen der Klageflut utopisch lange Verfahrensdauern, auf die sich alle einstellen müssen. © Thomas Gödde

Auch wenn die Arbeitslosenzahlen abnahmen, ist in diesem Rechtsgebiet ein Anstieg um acht Prozent zu verzeichnen. Die Klagen machen knapp ein Drittel aller 9331 Verfahren aus. Im Bereich der Pflegeversicherung (344 Verfahren) liegt der Anstieg ebenfalls bei acht Prozent.

Die Präsidentin prophezeit utopische Verfahrenslaufzeiten, auf die sich alle Kläger einstellen müssten. Bisher lag die durchschnittliche Prozessdauer bei 11,5 Monaten. Der Bestand zum Jahresende mit 9746 Verfahren führte bereits zu einer Mehrbelastung von 20 Prozent. In Gesprächen mit Experten aus dem Justizministerium will Silvia Fleck auf die extreme Belastung hinweisen. Sie hofft auf Lösungen. Fleck: „Wir wollen auch weiterhin die Interessen der Bürger wie auch der Sozialleistungsträger an einem zügigen Verfahren wahren.“ Bisher ist eine einzige Stelle im nichtrichterlichen Bereich genehmigt worden. Der Krankenstand beträgt acht Prozent.