Bottrop. . Die übrigen Gemeinden im Kreis Recklinghausen wollten Bottrop nicht ziehen lassen. Erst 1919 konnten die Bottroper dann Freudenflaggen hissen

„Fahnen heraus!“ forderte die Bottroper Volkszeitung die Bürger auf am 21. August 1919. Im Rathaus war die beglaubigte Abschrift der Preußischen Staatsregierung angekommen, mit der der Innenminister Bottrop Stadtrechte verlieh. Nach einem 15 Jahre dauernden Ringen hatte das „größte Dorf Preußens“ sein Ziel erreicht. Die Bottroper jubelten, die Nachbarn murrten.

Diese amtliche Bekanntmachung erschien damals in der Bottroper Volkszeitung.
Diese amtliche Bekanntmachung erschien damals in der Bottroper Volkszeitung.

Die hohen Herren im Kreistag waren gar nicht glücklich über das Bottroper Streben nach Unabhängigkeit, Im Dezember 1904 hatte der Bottroper Gemeinderat unter Vorsitz vom Amtmann Hermann Böckenhoff ein Komitee eingesetzt, das „die Erwirkung der Stadtrechte“ vorantreiben sollte. Bottrop zählte zu diesem Zeitpunkt 32.000 Einwohner, Tendenz stark wachsend. Als auf Prosper I. 1856 der erste Schacht abgeteuft wurde, hatte Bottrop gerade mal 3800 Bürger. Zwei Jahre später schickte das Komitee sein „Gesuch um Verleihung der Westfälischen Städteordnung“ nach Berlin, anbei jede Menge Statistik zu Infrastruktur und Bevölkerungsentwicklung. Da lebten in Bottrop schon 36.000 Bürger.

Zweiter Anlauf im Jahr 1913

Doch das Gesuch wurde auf dem Dienstweg gestoppt vom Kreistag. Den hätte die Stadtwerdung nämlich viel Geld gekostet, weil Bottrop aus dem Landkreis Recklinghausen ausgeschieden wäre. Der Innenminister schrieb den Bottroper zurück, er werde das Gesuch „nicht an Allerhöchster Stelle befürwortend vorlegen“, beim Kaiser also.

Es gab keine Urkunde zur Stadtwerdung

Kuriosum am Rande: Eine Urkunde bekam die Gemeinde nicht. Das hat den Gemeinderat nicht gestört, der sich jetzt Stadtverordnetenversammlung nennen durfte. Zum 1. Januar 1920 schied Bottrop aus dem Kreis Recklinghausen aus. Am 20. Februar wurde Bürgermeister Erich Bauer gewählt. Ab 1921 durfte er sich Oberbürgermeister nennen. Bevölkerungszahl: 72.000.

1913 unternahm Bottrop mit inzwischen 60.000 Bürgern einen zweiten Anlauf und gründete gleichzeitig einen Ausschuss, der den erwarteten Krach mit dem Kreistag austragen sollte. Doch der Landrat stellte die Eingabe zurück. Inzwischen war der Erste Weltkrieg ausgebrochen, man habe jetzt Wichtigeres zu tun. Der Gemeinderat gab nach: Der Antrag ruhte.

Bottrop erbrachte ein Fünftel der Steuerkraft

Bis Böckenhoff am 1. Februar 1918 der Kragen platzte. Bottrops Antrag sei zurückgestellt, während „in anderen Bezirken Eingemeindungen unbekümmert um die Kriegswirren vorgenommen“ würden, schrieb er in einem Brandbrief an den Landrat . Der Gemeinderat folgte dem Amtmann und, richtig, setzte eine Kommission ein. Inzwischen hatte Bottrop 71.000 Bürger.

Das Argument des Landrates gegen den Bottroper Antrag: Die Bottroper Bevölkerung bestehe „fast zur Hälfte aus Polen“. Und von denen sei „für die nächste Zeit erhebliche politische Schwierigkeiten“ zu erwarten. Der wahre Grund für die Ablehnung dürfte gewesen sein, dass Bottrop ein Fünftel der Steuerkraft des Kreises erbrachte. Böckenhoff und sein Komitee gingen in Revision Beim Regierungspräsidenten. Der gab zu: Von Rechts und Einwohnerzahl wegen hätte Bottrop schon 1915 Stadt werden müssen. Aber: Wir haben Krieg, da passt es grad nicht. Lasst uns nach dem Krieg reden. Dann fahren wir halt nach Berlin zum Innenminister, schworen sich die Bottroper. Doch der winkte ab: Es ist Krieg, wir haben Wichtigeres zu tun.

Verkündung während eines Konzerts

Nach dem Tod von Böckenhoff 1918 und dem Kriegsende machte sich sein kommissarischer Nachfolger Ewald Brinkmann zur Speerspitze der Bewegung. Er wurde, Sie ahnen es, Vorsitzender einer Kommission, die die Sache endlich ins Rollen bringen sollte. Dem Kreistag fiel nur noch ein Gegenargument ein: Gladbeck wolle auch Stadt werden. Da müsse man doch erst eine Absprache treffen über den Austritt. Das konnte den Vorgang nur noch bremsen, aber nicht mehr stoppen. Der Regierungspräsident sagte Ende März 1919 zu, den Bottroper Antrag „unverzüglich“ weiter zu leiten.

Doppelt hält besser, dachte sich Brinkmann und organisierte einen Termin beim Innenministerium. Dort bekam die Kommission am 1. Juni die Zusage: Jawohl, ihr bekommt die Stadtrechte „in absehbarer Zeit“. Und dann ging es schnell. Am 21. Juli unterzeichnete der Minister den Erlass. Aus Berlin kam die Botschaft: Telegramm und beglaubigte Abschrift folgen in Kürze.

Stadtspitze fordert Bürger auf zu flaggen

So lang wollte Brinkmann nicht warten. Am 28, Juli hatte der von ihm gegründete Städtische Musikverein seinen ersten großen Auftritt in der „Schauburg“ mit Haydns „Schöpfung“. Das ist ein angemessener Rahmen für die Nachricht, befand der Beigeordnete. Seine Verkündung löste großen Jubel aus. Am 21. August kam die Abschrift des Erlasses, und Brinkmann ließ einen Aufruf einrücken in die Bottroper Volkszeitung: „Die Bürgerschaft wird gebeten, nunmehr, nachdem die amtliche Meldung vorliegt, ihrer Freude durch Beflaggung der Häuser Ausdruck zu verleihen.“