Bottrop. 1856 wurde Kohle unter der Boy entdeckt. 1913 begann das Abteufen der Zeche Vereinigte Welheim. Schon beim Schachtbau starben vier Kumpel.
Diese Zeche war im Wortsinn ein Lückenbüßer. Eingeklemmt zwischen den Förderfeldern der Zechen Arenberg Fortsetzung, Graf Moltke in Gladbeck und Mathias Stinnes in Essen-Karnap, hatte die Anlage von Anfang an keine Expansionsmöglichkeit. Und eingeklemmt zwischen den Großindustrien Grillo und Thyssen verlor der Betreiber dazu noch vor der ersten Kohleförderung einen Teil des Grubenfeldes.
Die Menschen in der Boy waren ohnehin nicht glücklich mit dem Bergbau und später der Petrochemie, die sich auf dem heutigen Ostermann-Gelände ansiedelten.
Aufgebrachte Bürger protestierten gegen die Zechenmauern
In seiner Geschichte des ehemaligen Hüls-Geländes „Kohle, Öl und Chemie“ hat Wilfried Krix die Einstellung der Anwohner so zusammen gefasst: „Schon als der Bergbau einzog, polarisierte der Industriestandort. So lehnten die Bürger sich gegen die Landenteignung auf. Als dann die hohen Mauern der Zecheneinfriedung die Bauernschaft trennte, protestierten aufgebrachte Bürger, wenn auch vergeblich. Ferner verfluchten in der Zeit des Zweiten Weltkriegs etliche Anwohner die Nähe zum Werk, als dieses zum Ziel der Zerstörung wurde und dabei manches Leben und Eigentum vernichtet wurde. Schließlich waren es in den 80er Jahren die Geruchsbelästigungen und Emissionen, die Anlass für eine Bürgerinitiative wurden.“
Vielleicht auch deshalb erinnert heute fast nichts mehr als ein Straßenname und zwei Schachthauben an den ehemaligen Standort von Zeche, Hydrierwerk und Ruhröl.
Die Geschichte der Zeche ist kurz und schnell erzählt. In der Goldgräberstimmung nach den ersten Kohlefunden in Vonderort und in der Welheimer Mark ergaben Probebohrungen an der Boyer Schule und der Boyer Brücke nach Horst Kohlevorkommen. 1862 wurden die beiden Felder zusammen gelegt, daraus resultiert auch der Name „Vereinigte Welheim.“
Agent kaufte Anteile für den Mülheimer Hugo Stinnes
Der Aufschwung nach dem deutsch-französischen Krieg 1870/71 machte die Anteilscheine an der Gewerkschaft für große Investoren interessant, auch wenn vom Bergbau noch nichts zu sehen war in der Boy. Ein Essener Agent kaufte heimlich Anteile für den Mülheimer Großindustriellen Hugo Stinnes auf. Erst 1884 trat der als Investor auf. 1901 verkaufte Stinnes Arenberg Fortsetzung an den Konkurrenten Waldthausen und seine Arenberg’sche Aktiengesellschaft,
1910 ging der Bergbau dann los in der Boy. Stinnes bekam die Genehmigung, von Mathias Stinnes in Karnap aus Querschächte vorzutreiben. 1913 beginnt der Schachtbau auf dem inzwischen durch eine hohe Mauer gesicherten Zechengelände, der von Anfang an von schweren Arbeitsunfällen begleitet wird. Am 6. November 1913 wird ein 23 Jahre alter Bergmann erschlagen von einem Förderkübel. Zehn Tage später starb ein Vater von drei Kindern, als ihm eine herabstürzende Lampe den Schädel zertrümmert. Zwei weitere Bergleute sterben im Januar und März 1914.
Viele Bergleute werden im Ersten Weltkrieg eingezogen
Nach Beginn der Förderung gehen der Gewerkschaft schnell die Bergleute aus, die mit Beginn des Ersten Weltkriegs an die Westfront eingezogen wurden. Kinder, Frauen und Kriegsgefangene müssen die Lücken füllen. Im Oktober 1916, vor dem berüchtigten Steckrübenwinter, kommt es zu wilden Streiks, weil die Bergleute zu wenig zu beißen haben. Nach Kriegsende eskalierten die Streits 1918 und 1919. Auch Bergleute aus der Boy beteiligten sich an den so genannten Sparkauskämpfen.
Ein weiterer schwerer Unfall, ein Grubenbrand, kostete nicht nur Bergleute der Vereinigte Welheim das Leben. Die Rauchgase zogen durch die Verbindungsschächte nach Karnap zu Mathias Stinnes I/II. Krix erzählt zudem vom sinnlosen Tod von fünf Grubenwehrmännern: Die Vermissten, die sie suchten waren längst ausgefahren.
Kosten sparen im Verbundbergwerk
Arenberg Fortsetzung und die Schwesterzeche Vereinigte Welheim hatten ihre große Zeit in den späten 1920er Jahren. Damals hatten die Zeche mit relativ kleinem Kohlefeldern ihren Höhepunkt beim Steinkohleabbau erreicht. Kurz darauf kam für beide Zechen das Aus,
Die Weltwirtschaftskrise, glaubt Heimatforscher Wilfried Krix, war 1930 und 131 nur ein Vorwand für die Schließung. Seine Thesen zur Schließung: „Trotz neuster Technik wurden beide Bergwerke opfer ihrer geringen Größe und ihrer Randlage zu den Grubenfeldern der Gesellschaften Rheinstahl und Stinnes.“
Und weiter: „Die schlechte Absatzlage, hervorgerufen durch die Weltwirtschaftskrise, war nur der Vorwand, die schon vorher praktizierte Tendenz zur Rationalisierung voranzutreiben. Schon in den 1920er Jahren war das Bestreben der Zechengesellschaften sichtbar geworden, durch Zentralisierung auf eine Hauptförderanlage Leute einzusparen. Im Fall Welheim übernahm die Gladbecker Zeche Mathias Stinnes III/IV die Funktion der Förderzeche. Aufgrund eines Pachtvertrages wurde von dort aus weiter die Kohle aus dem Grubenfeld Welheim abgebaut. Nur die Seilfahrt blieb in der Boy.“ Diese Entscheidung kostete auf dem Höhepunkt der Wirtschaftskrise 1100 Bergleute ihre Arbeitsplätze. Viele von ihnen hatten erst ein Jahr zuvor beim Durchschlag nach Gladbeck geholfen.
4,3 Kilometer lange Strecke verbindet 1989 Mathias Stinnes mit Zollverein
1950 übernahm Mathias Stinnes auch das Kraftwerk Vereinigte Welheim vom Mülheimer Bergwerks-Verein. 1955 wurde auf dem „Betriebsteil Welheim“, wie das Grubenfeld jetzt hieß, eine Grubengasabsaugung eingebaut. 1968, im Jahr der Eingliederung von Mathias Stinnes in die neu gegründete Ruhrkohle AG, wurde der Schacht Welheim 2 verfüllt. Der Schacht Welheim 1 folgte 1972: Der „Allgemeine Anpassungsplan für den Ruhrkohlenbergbau“ bedeutete in diesem Jahr das Aus für Mathias Stinnes.
1989 wurde Mathias Stinnes noch einmal Teil eines größeren Verbundes: Über eine 4,3 Kilometer lange Strecke wurde die Zeche mit Zollverein verbunden. Die unterirdische Verbindung zwischen Zollverein, Mathias Stinnes, Möller/Rheinbaben und die derzeit gebaute Verbindung von dort zu Prosper-Haniel soll dafür sorgen, dass das Grubenwasser der ganzen Region künftig in den Rhein fließt.
Der Name Welheim: Bekannt auf den Weltmeeren
Den Namen „Bottrop“ hat mal ein ehemaliges Nordsee-Bäderschiff getragen, das ab 1952 auf der Ruhr Teil der Weißen Flotte war. Den Namen des Stadtteils Welheim aber haben im vergangenen Jahrhundert gleich drei Schiffe hinaus auf die Weltmeere getragen.
Die erste „Welheim“, 1939 erbaut, war im Zweiten Weltkrieg eingesetzt als Versorgungsschiff der deutschen Streitkräfte im besetzten Skandinavien. Mit Kohle beladen, wurde es am 28. November 1944 von einem norwegischen Torpedoboot versenkt und bildet seitdem einen Teil des Schiffs-Friedhofes an der Hurtigrute.
Die zweite „Welheim“ war ein Tankmotorschiff, das 1952 in Elsfleth an der Unterweser vom Stapel lief. Es gehörte zur Flotte der „Vereinigten Stinnes Reederei“, war 400 PS stark und hatte eine Tonnage von 830 Tonnen. In den 1950er Jahren schlug es am Stinneshafen am Rhein-Herne-Kanal regelmäßig Rohöl aus dem Irak um.
Noble Adresse am Jungfernstieg in Hamburg
Mehr als zehnmal soviel Ladung konnte die dritte „Welheim“ transportieren. Sie lief am 3. Oktober 1953 bei den Lübecker Flender-Werken vom Stapel. 1954 wurde sie ausgeliefert an die „Kohlen-Import & Poseidon Schiffahrt AG“, eine, wir ahnen es schon, Tochter der Mülheimer Stinnes-Flotte.
Wie die Muttergesellschaft „Hugo Stinnes Schiffahrt“ residierte sie an einer der nobelsten Adressen Hamburgs: Jungfernstieg 30. Der Komplex an der Binnenalster mit der neugotischen Sandsteinfassade ist seit 1979 eine Einkaufspassage.
Die „Welheim“ dient dem festen Glauben von Seeleuten als Beleg, die Namensänderung eines Schiffes bringe Unglück. 1963 wird sie umgetauft in „Transgermania“, 1965 bricht auf der Fahrt nach Kalifornien Feuer im Maschinenraum aus.
Mathias Stinnes: Vom Schiffsjungen zum Industriebaron
Solche Geschichten waren möglich in der Goldgräberzeit der Industrialisierung: Mathias Stinnes (1790 bis 1845) hat sich hochgearbeitet vom Schiffsjungen auf dem Ruhr-Kahn seines Vaters bis zum Industriebaron.
1808 gründete er mit seinen Brüdern ein Unternehmen für Schifffahrt und Kohlenhandel.Seine Schiffe befuhren erst die Ruhr, dann den Rhein und danach die Nordsee.
1820 gehörten dem „aule Mathes“, wie er im Mülheimer Volksmund hieß, vier Bergwerke und 36 Bergwerksbeteiligungen. Außerdem galt er bei seinem Tod als größter Reeder im Rheinland und Holland. 1843 hatte er die Dampfschifffahrt auf dem Rhein eingeführt.