Essen/Bottrop. Zum geplanten Plädoyer des Staatsanwaltes kam es nicht. Im Prozess gegen den Bottroper Apotheker wird ein weiterer Psycho-Gutachter gehört.
Eigentlich hatte am Dienstag im Apothekerprozess vor dem Essener Landgericht Staatsanwalt Rudolf Jakubowski plädieren und die Schlussphase des Verfahrens um gepanschte Krebsmedikamente einläuten sollen. Doch dazu kam es dank eines neuen Antrags der Verteidiger nicht. Jetzt will die XXI. Wirtschaftsstrafkammer doch noch Psychiater Pedro Faustmann hören, der dem Angeklagten Peter Stadtmann (47) im Vorfeld eine zumindest verminderte Schuldfähigkeit attestiert hatte.
Schon mehrfach hatte Richter Johannes Hidding darauf hingewiesen, dass aus Sicht der Kammer die Beweisaufnahme eigentlich abgeschlossen werden könnte. Doch seitdem gibt es immer wieder neue Anträge, zuletzt vor allem von der vierköpfigen Verteidigung des ehemaligen Chefs der Alten Apotheke in der Bottroper Innenstadt.
Es geht um die Schuldfähigkeit des Apothekers
Viel versprochen hatten sich die Anwälte von Boris Schiffer, den sie dem Gericht selbst als Gutachter vorgeschlagen hatten. Er sollte überprüfen, ob Stadtmann seit einer Schädelverletzung tatsächlich an „einer Störung der Hirnfunktion mit unbewussten Fehlleistungen“ leide. Das führe nämlich dazu, dass er Dinge falsch mache, an die er sich später nicht mehr erinnern könne. Wenn er also den Wirkstoffgehalt bei Chemotherapien unterdosiert habe, dann sei ihm das nicht bewusst gewesen. Doch der forensische Psychologe Boris Schiffer sah den Apotheker trotzdem als voll schuldfähig.
Jetzt missfällt der Verteidigung der von ihnen vorgeschlagene Schiffer. Denn dieser sei „nur“ Psychologe, der Bundesgerichtshof verlange aber einen Psychiater.
Am Montag kommt ein weiterer Gutachter
Das Gericht wollte Schiffers Sachkunde bislang nicht anzweifeln. Schließlich hat der Nicht-Mediziner sogar eine Lehrstelle als Professor für forensische Psychiatrie inne. Dem Antrag von Verteidiger Peter Strüwe, der den Psychiater Faustmann als präsenten Gutachter für den kommenden Montag geladen hatte, entzog sich das Gericht am Dienstag, 38. Prozesstag, denn doch nicht. Es hob die beiden Termine in dieser Woche auf und will Pedro Faustmann am nächsten Montag hören.
Dass das Landgericht im Apothekerprozess langsam arbeitet, kann man den fünf Richtern nicht nachsagen. Am Montag hatte es zwölf Anträge der Verteidiger angehört und anschließend 18 frühere Anträge der Anwälte zurückgewiesen.
Anträge im Minutentakt abgelehnt
Am Dienstag ging es weiter. Fast im Minutentakt lehnte die Kammer die zwölf neuen Anträge ab. Mal unterstellte sie die Beweisbehauptungen als wahr, mal nannte sie diese ungeeignet. Oder: Die Behauptung sei schon längst erwiesen.
Optimistisch hatte Staatsanwalt Rudolf Jakubowski einen roten Aktendeckel dabei. Es gehörte nicht viel Fantasie dazu, den Inhalt zu erahnen. Drinnen lag natürlich das Plädoyer, zu dem ihn das Gericht für Dienstag aufgefordert hatte.
Psychiater soll gehört werden
Weil die Kammer doch noch den von der Verteidigung beauftragten Psychiater Pedro Faustmann hören will, konnte Jakubowski den Deckel aber ungeöffnet mitnehmen.
Eigentlich ist es eine Farce, dass die Verteidiger die Qualifikation des von ihnen ebenfalls vorgeschlagenen Psychologen Boris Schiffer anzweifeln. Sie wollen nicht gewusst haben, dass der seit Jahren in der forensischen Psychiatrie arbeitende Schiffer „nur“ Psychologe sei. Verteidiger Strüwe: „Auch dem Angeklagten hat Herr Schiffer sich nicht als Psychologe vorgestellt.“
Gericht betont Qualifikation des Psychologen
Den Antrag, Boris Schiffer deshalb abzulehnen, wies das Gericht zurück. Ausdrücklich betonte es die Qualifikation des Gutachters und erinnerte daran, dass die Verteidigung ihn „unter Herausstellung seines Expertenwissens als Gutachter vorgestellt“ habe.
Also wird Schiffers für Stadtmann negatives Gutachten im Urteil weiterhin ausgewertet werden, auch wenn die Kammer jetzt noch den von der Verteidigung gestellten Psychiater Faustmann hört. Daran ändert auch nicht, dass Verteidiger Peter Strüwe behauptete, Schiffers Gutachten entspreche „nicht wissenschaftlichen Standards“.
Trotz – oder wegen – der neuen Verzögerung drängt das Gericht weiter. Es setzte vier neue Termine an bis zum 6. Juli und setzte den Prozessbeteiligten eine Frist für neue Anträge. Diese dürfen nur bis zum 27. Juni gestellt werden.
Mehr als zehn Jahre Haft?
Ob es dann wirklich zu den Plädoyers kommen wird? Staatsanwalt Jakubowski, so ist von Juristen im Saal zu hören, will „zweistellig“ beantragen, also eine Haftstrafe von mehr als zehn Jahren Dauer. Ganz unrealistisch ist das nicht vor dem Hintergrund, dass die Kammer Stadtmann schon seit 19 Monaten in der U-Haft hält. Das spricht für eine hohe Strafe. Ungewöhnlich: Dem Gutachter Schiffer hatte Peter Stadtmann gesagt, er finde die Haft in Wuppertal, dort arbeitet er in der Bücherei, „toll“, fast „wie eine Reha-Maßnahme“. Er habe sich selten so gut gefühlt.