Bottrop. . SPD-Landtagsabgeordneter Thomas Göddertz hält es für falsch, dass alle Bergwerke geschlossen werden. Er setzt zuversichtlich auf neue Arbeitgeber

Thomas Göddertz kommt aus dem Landtag in Düsseldorf über die Autobahn zurück nach Bottrop und gerät in einen Stau. Alle wollen ins Wochenende. Über die Freisprechanlage fürs Handy warnt der Bottroper vor, dass er vielleicht nicht pünktlich beim Treffen auf der Zeche Prosper II sein könne. Schließlich ist er sogar einige Minuten vor der verabredeten Zeit im Malakoffturm. Hier ist seine Gegend. Er wuchs in der Nähe der Zeche auf und wohnt sozusagen um die Ecke. Gut ein Jahr lang ist Göddertz jetzt Landtagsabgeordneter. Außerdem ist er Vorsitzender der SPD-Fraktion, der stärksten politischen Kraft im Rat. Die WAZ traf ihn zum Gespräch.

Die SPD war in ihrer Geschichte eigentlich immer auch Bildungsbewegung. Teilhabe und Aufstieg durch Bildung sind ihre Ziele. Sie haben das persönlich ja gelebt und nach der Berufsausbildung studiert.

Göddertz: Ja, ich habe bei der RAG Industriekaufmann gelernt. Nachdem ich dann als kaufmännischer Angestellter im Personalwesen der Zeche Lohberg angefangen hatte, habe ich schnell gemerkt, dass ich weiter kommen wollte. Ich habe an der Fachoberschule für Wirtschaft Abitur gemacht, dann an der Uni Essen Wirtschaftswissenschaften studiert und als Diplom-Kaufmann abgeschlossen.

Was halten Sie bei einem sicher nicht so ganz einfachen Werdegang über den zweiten Bildungsweg da eigentlich von Talentschulen, die die FDP-Schulministerin in benachteiligten Stadtteilen errichten will?

Prinzipiell halte ich das für eine gute Idee. Wenn man solche Akzente aber nur punktuell setzt, wie die Landesregierung das ja tut, ist mir das zu wenig. Wenn schon, dann gehören solche besonders gut ausgestatteten Schulen überall hin, wo es prekäre Bildungsverhältnisse gibt.

Sie haben mal gesagt, dass es in Bottrop zwar Stadtviertel gibt, in denen es sich besser leben lässt als in anderen, aber eben keine völlig benachteiligten Stadtteile.

Ja, das ist so. Völlig abgehängte Stadtteile, wie es sie vor allem in den größeren Revierstädten gibt, haben wir hier Gott sei Dank nicht. Der Bottroper Weg ist es, schnell zu reagieren, wenn Probleme auftreten. Deshalb werden wir ja zum Beispiel auch in Batenbrock Südwest aktiv.

© Thomas Gödde

Zum Ende des Jahres wird das Bergwerk Prosper-Haniel und der Steinkohlenbergbau insgesamt still gelegt und tausende Arbeitsplätze gehen verloren. Ist eine wirtschaftliche und soziale Krise zu befürchten?

Erstens halte ich es für eine falsche Entscheidung, dass der Steinkohlenbergbau komplett aufgegeben wird. Ich hätte auf einen Sockelbergbau gesetzt, auch um die Spitzentechnologien weiter entwickeln zu können. Zweitens ist Bottrop gut auf das Bergbauende vorbereitet. Die Arbeitsplätze sind ja sozialverträglich abgebaut worden. In Bottrop sind es jetzt noch einige hundert Bürger, die das betrifft.

Der Verlust an Ausbildungsplätzen fällt aber jetzt schon auf.

Ja, man spürt das leider schon, vor allem auch weil jetzt viel weniger Lehrstellen auch für solche jungen Leute zur Verfügung stehen, die woanders nicht unbedingt eine Chance bekommen. Von ihnen haben viele nach ihrer Ausbildung im Bergbau ja dann doch ihren Weg gemacht. Das fällt nun leider weg. Doch es ist auch ein gesellschaftlicher Verlust zu beobachten. In anderen Städten zeigt sich das schon, dass zum Beispiel der soziale Zusammenhalt oder die große Solidarität, die Bergbaustädte prägen, verloren gehen. Ich fürchte, das wird hier dann auch irgendwann passieren.

Sie haben gerade mit dem Projekt Freiheit Emscher die Aufbereitung eines Areals angestoßen, auf dem viele aktuelle und alte Bergbaubetriebe liegen. Außer Prosper 2, der Welheimer Mark oder Sturmshof geht es aber auch noch um Prosper-Haniel, um Prosper IV und V in Kirchhellen. Es dauert ein Jahrzehnt, bis allein in Bottrops Teil von Freiheit Emscher erste neue Betriebe überhaupt anfangen können zu bauen. Muss sich eine Stadt, fast sogar das Land, da nicht ziemlich hilflos vorkommen?

© Funke Foto Services

Wir sind da auf die Ruhrkohle angewiesen. Man sollte auf allen Seiten mit Goodwill arbeiten und kann nur so voran kommen. Wir müssen in Stadt und Land möglichst gut unsere Hausaufgaben machen, damit alle Pläne fertig sind, wenn die Flächen frei werden und neue Unternehmen kommen können.

Zwischenzeitlich werden wachsende Firmen die Stadt verlassen, weil sie hier keinen Platz haben. Muss man da langfristig denken nach dem Motto: Jetzt profitieren die Nachbarstädte, deren Zechenbrachen für die Ansiedlung neuer Firmen schon aufbereitet sind, und Bottrop hat eben später dieselben Vorteile, wenn die Bergbaugelände hier so weit sind?

Das ist nur dann richtig, wenn es um Unternehmen geht, die von außerhalb kommen und im Ruhrgebiet neue Standorte suchen. Solche Firmen vermitteln die Wirtschaftsförderer ja auch an andere Städte weiter, wenn sie ihnen in Bottrop nichts anbieten können. Wenn es aber um Firmen geht, die seit Jahrzehnten in Bottrop sind, dann schmerzt das schon sehr, wenn sie wegziehen wollen oder müssen.

Arme Städte stecken in der Vergeblichkeitsfalle

Im Konzept für Freiheit Emscher ist viel die Rede von Start Ups, deren Erfolg ja nicht garantiert ist, auch von technologieorientierten Firmen und digitalen Betrieben. Ist es aber nicht so, dass Firmen, um so weniger Jobs schaffen, um so mehr digitale Technik sie nutzen, um so automatisierter die Produktion abläuft? Da machen doch Roboter und Computer die Arbeit.

Er arbeitete über 25 Jahre für Deichmann

Thomas Göddertz ist gebürtiger Bottroper. 1976 trat der heute 57-Jährige in die SPD ein. 24 Jahre ist er jetzt Vorstandsmitglied des SPD-Ortsvereins Stadtwald, seit 2001 als Vorsitzender.

Dem Stadtrat gehört Göddertz seit 2004 an. Seit 2012 ist er Vorsitzender der SPD-Ratsfraktion.

Der Bottroper ist Vorstandsmitglied im Kinderschutzbund. Er ist Mitglied der AWO und der IGBCE. Göddertz ist in den Vereinen „Ambotioniert“ und Marketing für Bottrop aktiv.

Über 25 Jahre lange arbeitete er beim Essener Schuhkonzern Deichmann. Vor allem ein Deichmann-Motto schätze er sehr, betont er: Geld ist für Menschen da.

Es kommt darauf an, eine Vielzahl kleiner und mittlerer Firmen anzusiedeln. Handwerker und Dienstleister lassen sich nicht so einfach durch Roboter ersetzen. Industriearbeitsplätze gehen auch durch Automatisierung immer weiter verloren. Der technologische Fortschritt ist aber nicht aufzuhalten. Das wollen wir auch gar nicht. Es ist wichtig, aus diesem technologischen Fortschritt sozialen Fortschritt zu gewinnen. Die erzielte Wertschöpfung muss allen zugleich dienen, das heißt, gerecht verteilt werden.

Bei der Stadtverwaltung nimmt die Personaldebatte gerade eine interessante Wendung, finden Sie nicht? Es geht nicht mehr darum, Personal abzubauen, sondern einzustellen.

Die SPD war ja immer schon dagegen, bei der Stadt Stellen zu streichen. Da finde ich es bemerkenswert, dass jetzt auch CDU-Vertreter wie Bezirksbürgermeister Schnieder kritisieren, dass Projekte wie der Neubau der Schneiderstraße in Grafenwald zurückgestellt werden müssen, weil die Stadt dafür nicht genug Mitarbeiter hat. Sie müssen sich ja vorrangig um solche Vorhaben kümmern, die Bund und Land finanziell fördern, sonst verfällt das Geld, das so nötig ist, am Ende noch.

Sie waren die letzten Auszubildenden der RAG. Zu ihrer Lossprechung kam auch der neue RAG-Chef Peter Schrimpf (vorne, 5. von links).
Sie waren die letzten Auszubildenden der RAG. Zu ihrer Lossprechung kam auch der neue RAG-Chef Peter Schrimpf (vorne, 5. von links). © Michael Korte

Dass Bund und Land Fördergelder zahlen für Schulen, Kitas, Straßen ist das eine. Kann das aber auf Dauer der richtige Weg sein, um die Finanzprobleme einer stark verschuldeten Stadt wie Bottrop zu lösen?

Das ist besser als nichts. Die Förderprogramme sind gut. Die Stadt muss aber auf lange Sicht auskömmlich finanziert sein. Da geht es auch um die hohen Sozialkosten, die hier entstehen. Wenn das Konnexitätsprinzip wirklich griffe, wäre uns geholfen. Das heißt: Wer die Musik bestellt, muss sie auch bezahlen. Es nützt ja nichts, wenn wir mit Hilfe des Stärkungspaktes einen Etat ohne neue Schulden haben, sich die Schulden in einigen Jahre aber wieder erhöhen, weil die Stadt einfach zu geringe Einnahmen hat. Das stecken wir in einer Vergeblichkeitsfalle.

Kann die Ruhrgebietskonferenz die Städte voran bringen? Braucht das Revier wieder ein Langzeitprojekt wie die Internationale Bauausstellung Emscherpark?

Wir werden sehen, was die Landesregierung unternimmt. Bisher gibt es leider nichts Konkretes. Ein paar Leuchtturmprojekte zu installieren, ist zu wenig. Wenn man die Städte aber finanziell besser ausstatten würde, könnten sie selber mehr tun.

Auf solche Entscheidungen hat die SPD als Oppositionspartei im Landtag nun weitaus weniger Einfluss. Wie fühlt sich die Arbeit an, mit einer CDU-FDP-Landesregierung?

Für mich ist das eine völlig neue Rolle. In Bottrop sind wir ja keine Oppositionspartei, ganz im Gegenteil. Hier können wir mit Partnern eine ganze Menge bewerkstelligen. Im Landtag dagegen haben wir zum Beispiel ganz bewusst auch einen eigenen Landeshaushaltsplan aufgestellt. Der war letztlich für die Papiertonne.

Man kann nicht immer an der Steuerschraube drehen

In Bottrop hat der SPD viel Kritik eingebracht, dass sie die Erhöhung der Grundsteuer mitgetragen hat, um einen schuldenfreien Haushalt zu erreichen.

Das hat uns nicht gut getan, stimmt. Wir hätten das gern vermieden, aber es gab keine andere Möglichkeit. Für die Zukunft gilt: Man kann nicht immer wieder an der Steuerschraube drehen. Ich würde das jedenfalls nicht mitmachen.

Der alte Saalbau wird abgerissen. soentsteht Platz für den Rathausanbau.
Der alte Saalbau wird abgerissen. soentsteht Platz für den Rathausanbau. © Birgit Schweizer

Sind Sie zufrieden mit der Entscheidung nun doch einen Neubau für das Rathaus II auf dem Saalbaugelände zu errichten und nicht in das RAG-Gebäude zu ziehen?

Das ist gut so, weil es die wirtschaftlichste Lösung ist. Dafür war aber das neue Gutachten nötig. Denn jetzt werden mehr Ämter in den Rathausneubau einziehen als zuvor geplant. Wir sehen uns da bestätigt. Auch für das RAG-Gebäude gibt es nun ja eine Zukunftsperspektive.

Sind Sie Ihre Sorgen um die Innenstadt also los geworden?

Es war ja zu befürchten, das drei große Gebäudekomplexe länger leer stehen würden. Danach wäre die Bottroper City tot gewesen. Im Karstadt-Gebäude steht nun aber der Neustart bevor. Mit dem Hansacenter geht es wieder voran, und auch das RAG-Gebäude wird wohl nicht lange leer stehen.

Viele Bürger haben große Erwartungen an die Arbeit der Politiker. Wünschen Sie sich auch etwas von den Bürgern?

Ich wünsche mir, dass die Bottroperinnen und Bottroper sich stärker mit ihrer Heimatstadt identifizieren.

Hat dies mit dem Innovation City-Projekt nicht zugenommen?

Bei der Innovation City gilt offenbar, dass der Prophet im eigenen Land nichts gilt. Doch, sicherlich hat die Bottroper Bevölkerung das Projekt gut aufgenommen. Positive Reaktionen kommen da aber vor allem von außerhalb. Auch im Landtag werde ich immer wieder darauf angesprochen. Innovation-City-Modellstadt zu sein, hat Bottrop zweifellos gut getan. Die Stadt hat dadurch jetzt auch einen besseren Ruf als früher.