Bottrop. Sahin Aydin legt einen Band über das Denkmal und die Gräber der Toten der linken Arbeiterbewegung von 1919/1920 auf dem Westfriedhof vor.
Im nächsten Jahr feiert Bottrop die Verleihung der Stadtrechte vor 100 Jahren. In dem für die Stadt wichtigen Jahr jähren sich aber auch zum 100. Mal die Kämpfe, die das damalige Deutsche Reich mit dem Ende des Ersten Weltkriegs und der Monarchie erschütterten oder die Niederschlagung des so genannten Kapp-Putsches im März 1920. Monarchisten, Kommunisten, aber auch Sozialdemokraten und deutsch-national gesinnte Gruppen rangen um die Macht aber auch die Deutungshoheit in der ersten deutschen Republik. Diese revolutionären Umbrüche hatten Streiks, Aufstände, die Besetzung und/oder Verteidigung von wichtigen Orten – in Bottrop zum Beispiel des damals neuen Rathauses – zur Folge.
Gewalt gab es auf beiden Seiten. Die konservativen Freikorps gingen dabei besonders grausam gegen die linke Arbeiterschaft vor. In Bottrop war zunächst 1919 das Freikorps Lichtschlag und während des Ruhraufstands nach dem Kapp-Putsch bis Mai 1920 die Marine-Brigade von Loewenfeld aktiv. Letztere besetzten Bottrop von Anfang April bis Mai. Den Opfern der revolutionären, kommunistischen Seite widmet der Bottroper Hobbyhistoriker Sahin Aydin nun die Publikation „Warten auf Gerechtigkeit“ als Band 1 einer Reihe „Alternative Beiträge zur Bottroper Stadtgeschichte“.
Geschichte überparteilich erzählen
Auf 92 Seiten und mit zahlreichen Abbildungen stellt er dabei nicht nur die Geschichte vor der Familie des am 5. April 1920 von Loewenfeld-Soldaten in seiner Wohnung erschossenen Kommunisten Bernhard Rogge. Neben diesen und vielen anderen Opfern geht es Sahin Aydin vor allem um das Gedenken an die Toten auf dem Westfriedhof.
Dort gibt es eine Grabanlage mit Mahnmal für diese „Märzgefallenen“ aber auch Gräber von kommunistischen Opfern der Nazi-Diktatur, Michael Mast und Franz Kwasigroch und dem linken Arbeiterführer Alois Fulneczek, der 1919 von Mitgliedern des Freikorps Lichtschlag getötet wurde. Er wurde 1922 dorthin umgebettet. In diesem Jahr errichteten die KPD und die extrem linke Bergarbeitergewerkschaft „Union der Hand- und Kopfarbeiter“ ein Denkmal, das auch die Namen der getöteten Genossen trug. Der damalige Friedhofsausschuss hatte vorgeschlagen, die Kosten unter der Bedingung zu übernehmen, wenn Jakobinermütze und Sowjetsterne wegfallen würden. Dazu kam es nicht, wie die Bottroper Volkszeitung BVZ damals berichtete.
Die Anlage wurde später von den Nationalsozialisten zerstört. Jakobinermütze, Zahnrad, Schlägel und Eisen wurden dabei ebenso entfernt, wie die Sowjetsterne neben der Inschrift „Wir kämpften für die Freiheit des Proletariats“.
Mit seinem Band möchte Sahin Aydin nicht nur eine neue, historisch genauere Darstellung der Opferzahlen der Ereignisse von damals anregen. Die seien nämlich weit höher als 79, die die bereits 1970 nach oben korrigierte Liste angebe. Das habe er bei Recherchen in Bottroper Akten aber auch im Freiburger Militärarchiv herausgefunden.
Neben der Wiederherstellung des Gedenksteins von 1922 und der Namensliste regt Aydin auch Informationstafeln - ähnlich der für den jüdischen Friedhof - zu allen historisch bedeutenden Grabstätten auf dem Westfriedhof an, darunter auch die Gräber der Weltkriegsgefallenen und „Rathausverteidiger“ von 1919.
Das Buch von Sahin Aydin „Warten auf Gerechtigkeit“ ist im Hamburgwer Verlag „tredition“ erschienen und kostet 9,90 Euro. Erhältlich im Bottroper Buchhandel.