Bottrop. Die ersten Interkulturellen Lotsen haben bei der Flüchtlingshilfe ihr Zertifikat erhalten. Nun geben sie ihre Erfahrungen an andere weiter.
Ahmad Niazi hat noch die Russen in seiner früheren Heimat Afghanistan erlebt. Später, als die islamistischen Taliban dort ihre Schreckensherrschaft errichteten, lebt er schon in Deutschland. Jetzt ist der 67-Jährige einer von zehn soeben zertifizierten Interkulturellen Lotsen der Flüchtlingshilfe Bottrop - und auch der Senior der Gruppe.
Sie kommen aus vielen Ländern. Albanien, Syrien, Tschetschenien, dem Kosovo. Ihre Ausbildung ist so unterschiedlich, wie ihre persönlichen Hintergründe und Geschichten. Ossama Aljomaa (29) hat in Aleppo Jura studiert, lebte ein Jahr in Hamburg, wohnt nun schon genau so lange in Bottrop. Der 33-Jährige Osama Aljabr war Lehrer in Syrien, kam vor zwei Jahren über Bremen nach Bottrop. Und Asya Tsuraeva wurde in Tschetschenien zur Krankenschwester ausgebildet. Seit sie vor sechs Jahren hierher kam, hat sie mehrere Praktika in Altenheimen absolviert, denn: „Die Ausbildung aus Tschetschenien wird hier nicht anerkannt.“
Gemeinsam ist allen eine Geschichte von Flucht und Vertreibung - aber auch der Wille, hier etwas zu bewegen, nicht nur Wörterbuch und Grammatik in die Hand zu nehmen, sondern auch zu helfen, so wie ihnen geholfen wurde und zum Teil noch geholfen wird. Dazu gehören das Dolmetschen ebenso, wie die Begleitung zu Behörden, Hilfe bei der Wohnungssuche vor allem auch Hilfestellung dabei, die Kultur des Gastlandes kennen und verstehen zu lernen.
Platz für individuelle Schwerpunkte
Für Leute wie sie bietet die Flüchtlingshilfe in der Casa im evangelischen Martinszentrum in der Innenstadt die Interkulturellen Lotsenkurse an. Sie alle haben individuelle Schwerpunkte.
Für Zarema Edilova-Turaeva stehen Lesen und Literatur weit oben. Die Wirtschaftswissenschaftlerin kam vor vier Jahren aus Tschetschenien, wo sie lange an der Uni gearbeitet hat. „Als Interkultureller Lotse reagierst du auf die Bedürfnisse der Leute, die du betreust. Jemand sucht eine Wohnung, anderen zeigt man das Kultur- und Freizeitangebot Bottrops.“ Ihre Lotsen-Kollegin Kaltrina Mehmeti aus dem Kosovo setzt dagegen eher auf das Übersetzen, sofern ihr die beiden Kinder Zeit dazu lassen.
Für sie alle ist das Martinszentrum Anlauf- und Kommunikationsstelle, von der aus sie nun andere durch die Vielfalt der neuen - vielleicht auch nur temporären - Heimat lotsen möchten.
Kultur ist keine Einbahnstraße
Sie verstehen Kultur nicht als Einbahnstraße: Die Organisatorinnen des Projekts der Interkulturellen Lotsen bei der Flüchtlingshilfe sehen die Aufgabe durchaus auch darin, von und mit anderen Kulturen zu lernen.
Daniela van Bremen, Sabine Brill und Dagmar Kaplan heben nicht den strengen Leitkulturfinger, wenn sie die Lotsen schulen. „Es geht einfach darum, die Fähigkeiten und Erfahrungen sinnvoll einzusetzen, die manche Migranten aus ihrer angestammten Kultur mitbringen oder auch hier erworben haben“, sagt beispielsweise Dagmar Kaplan.
Zunächst geht es auch bei den Interkulturellen Lotsen um Grundlagen zum Leben in der neuen Gesellschaft: Sprachkurse, Amtsbesuche, Arbeit, Wohnen, Ausbildung. Aber bereits in der zweiten Phase geht es darum, was es für Möglichkeiten für Kinder gibt, welchen Vereine in Frage kommen, welche Kulturangebote es gibt. Auch Alltagsfragen haben oft etwas mit Kultur zu tun. Die Rolle der Polizei sei in Deutschland ganz anders, eben kein willkürlicher Unterdrückungsapparat, wie in vielen Herkunftsländern, so Sabine Brill.
Mit dem Projekt setzen die Frauen auf Synergieeffekte, durch die möglichst das Beste aus der heimischen und fremden Kultur freigesetzt wird. Ein neuer Kurs beginnt im April im Martinszentrum. Info: fluechtlingshilfe-bottrop.de