Bottrop. . Evangelische Sozialberatung und Jobcenter kooperieren, um schwer zu erreichenden 18- bis 25-Jährigen Weg auf den Arbeitsmarkt zu weisen.
Im Sommer vergangenen Jahres hielt Lisa (18) ihr bisheriges Leben nicht mehr aus: Sie brach ihre Ausbildung ab, packte ihre Sachen, haute aus ihrem Elternhaus ab, flüchtete sich zu einer guten Freundin nach Bottrop – und stand erst einmal vor dem Nichts. Nur ein halbes Jahr später steht sie heute vor dem Umzug in eine eigene Wohnung, absolviert bei der Diakonie eine Berufsvorbereitung und ist zuversichtlich, eine Lehrstelle in ihrem Traumjob Bürokauffrau zu bekommen. Unterstützung in ihrer schwersten Krise erhielt Lisa in der Evangelischen Sozialberatung, die im August in Kooperation mit dem Jobcenter das Projekt „Jung. Arm. Wohnungslos – Junge Erwachsene im Abseits“ gestartet hat.
Zielgruppe dieses Programms, für das extra eine Stelle bei der ESB geschaffen wurde, sind alleinstehende Wohnungslose zwischen 18 und 25 Jahren. Denn von diesen gibt es bundesweit immer mehr, berichtet Sozialarbeiterin Claudia Kretschmer. „Zu uns kommen Menschen, wenn sie eine postalische Meldeadresse brauchen, um Leistungen vom Jobcenter beziehen zu können.“ Innerhalb der letzten vier Jahre hätten sich die Zahlen in Bottrop mehr als verdoppelt, 160 Männer und Frauen stehen auf der Meldeliste der ESB. „Der Anteil der unter 25-Jährigen ist relativ hoch, er schwankt zwischen 20 und 25 Prozent“, so Kretschmer.
Hilfe im Umgang mit Behörden
Mit dem Projekt sollen diese jungen Leute, die meist ohne familiäre oder andere Unterstützungssysteme auskommen müssen, gezielt angesprochen und individuell so stabilisiert werden, dass sie schließlich wieder den Weg auf den Arbeitsmarkt finden. „Voraussetzung ist immer, dass Lebensunterhalt, Wohnraum und Krankenversicherung gesichert sind, das ist unsere erste Aufgabe“, erklärt Kretschmer. Dazu wird das ganze etablierte Netzwerk der ESB genutzt, wird den jungen Leuten zum Beispiel im Umgang mit Behörden geholfen, werden sie zu Ämtern und Wohnungsbesichtigungen begleitet, an andere Stellen weitervermittelt.
Von der Zweier-Wohngruppe in ein reguläres Mietverhältnis
Die ESB betreut Menschen ohne festen Wohnsitz. Das heißt nicht, dass alle von ihnen tatsächlich auf der Straße schlafen. Aber sie leben in fragilen Wohnverhältnissen, übernachten eventuell mal auf diesem, mal auf jenem Sofa. In einer Zweier-Wohngruppe der ESB können junge Klienten maximal ein halbes Jahr wohnen, um von der Straße zu kommen und sich zu stabilisieren. „Schon zwei sind aus der Wohngruppe in ein reguläres Mietverhältnis gekommen“, freut sich die Sozialarbeiterin Claudia Kretschmer.
Eine Gesetzesänderung habe dazu geführt, dass mehr Geld in die Hand genommen werden kann, um junge Erwachsene in prekären Lebenslagen zu unterstützen. Die Stelle von Friedrich Maschmeyer wird von Jobcenter (75 %) und Ev. Kirche/Diakonie (25%) finanziert.
Grundproblem ist, überhaupt eine bezahlbare Wohnung zu finden. „Es sind nicht genug solche Wohnungen da“, unterstreicht die Sozialarbeiterin. Und die jungen Erwachsenen hätten es als Bewerber besonders schwer. „In der Schlange steht der 18-Jährige ohne Wohnsitz und vielleicht mit Tattoo und anderen Problemen ganz hinten.“
Lisa gehört zu den Klienten der ESB, die schon vieles selbstständig regeln können, ehrgeizig ihre eigene Entwicklung vorantreiben, sich an Absprachen halten. „Wir erleben auch das genaue Gegenteil“, sagt Projektbetreuer und Sozialpädagoge Friedrich Maschmeyer.
30 Klienten werden betreut
Die rund 30 jungen Erwachsenen, die Friedrich Maschmeyer betreut, bringen sehr unterschiedliche Geschichten mit. „Ein relativ hoher Anteil ist durch die Jugendhilfe gegangen, hat Heimaufenthalte oder Wohngruppen hinter sich.“ Manche waren oder sind abhängig, manche wurden schon straffällig, andere leiden unter Lernbehinderungen oder psychischen Erkrankungen.
Der Berater holt jeden da ab, wo er gerade steht. „Hier müssen die jungen Erwachsenen keine Erwartungen erfüllen, sie erzählen von sich, man hört ihnen zu, fragt danach, was sie möchten“, erklärt Claudia Kretschmer. „Wenn mal ein Termin versemmelt wird, ist das nicht schlimm. Hauptsache, man kommt überhaupt wieder.“
Jeder hat sein eigenes Tempo
Jeder Klient macht im eigenen Tempo Fortschritte. Bei Lisa geht alles recht schnell. Aber sie weiß noch zu gut: „Die ersten Ämter-Gänge waren ein totales Chaos, ich wurde hin und her geschickt.“ Die ESB half, dass Lisa finanzielle Leistungen erhält, und stärkt noch immer den Rücken. Kretschmer: „Die Sozialgesetzgebung ist so kompliziert geworden: Wann kann ich wo welche Ansprüche stellen.“ Und welche Voraussetzungen müssen jeweils erfüllt sein.
Lisa erinnert sich: „Ein erster wichtiger Schritt war, dass ein psychologisches Gutachten erstellt wurde, dass ich nicht mehr nach Hause soll und kann.“ Als sie eine Brille brauchte, gab die ESB Geld aus ihrem Einzelhilfefonds dazu. Und beim Umzug in die eigene Wohnung achten die Berater auch auf Details – wie die Erstellung von Namensschildern für die Tür.