. Melek Akbaba sagt: „Ich bereue keine einzige Sekunde“. Mutter und Schwester haben bei der Pflege geholfen. Die 28-Jährige macht anderen Mut.
„Ich begegne vielen Menschen, die haben das Wesentliche nicht vor Augen“, sagt Melek Akbaba. Ihr geht es anders. 28 Jahre ist sie erst alt, aber die rund fünf Jahre währende Pflege ihres schwerkranken Vaters, die sie sich mit Mutter und Schwester teilte, hat ihre Einstellung zum Leben geprägt. „Ich habe Freunde verloren, in dieser Zeit vieles vom Leben verpasst. Aber ich bereue keine einzige Sekunde, die ich für meinen Vater da war.“ Mit ihrer Geschichte möchte sie auch anderen Mut machen, sich die Pflege ihrer Angehörigen zuzutrauen.
Melek Akbabas Vater Dogan verstarb vor eineinhalb Jahren, er wurde 55 Jahre alt. Er litt unter der seltenen Gefäßerkrankung Morbus Behcet mit neurologischem Verlauf. Zuletzt war er ans Bett gefesselt, erzählt seine Tochter. „Es war sehr schlimm für ihn. Denn er war immer sehr gesellig.“ Für sie, die mit ihrem Vater zusammenlebte, stand gleich fest: In eine Pflegeeinrichtung soll er nicht kommen. Sie wollte sich um ihn kümmern, so wie er für sie als Kind gesorgt hatte. Unterstützung fand sie bei ihrer Schwester, die sich als Mutter von zwei Kindern einsetzte so gut sie konnte – und vor allem bei Mama Claudia. Was nicht selbstverständlich war, denn ihre Eltern waren getrennt, erzählt Melek Akbaba. „Aber meine Mutter hat gleich gesagt: Das geht die ganze Familie an. Wir pflegen ihn zusammen.“ Das ermöglichte ihr, ihre Ausbildung zur Bürokauffrau zu Ende zu führen.
Emotional harte Zeit
Fortan sah ihr Alltag so aus: Vor und nach der Arbeit kümmerte sie sich um ihren Vaters, inklusive Essen reichen, Waschen, im Bett aufsetzen und vielem mehr. Techniken wie das richtige Lagern und Heben habe sie in Kursen für pflegende Angehörige, über Freunde aus der Pflege oder Internet-Videos gelernt. „Ich kann Injektionen geben, eine Wundversorgung durchführen. Ich weiß, wie man den Blutzucker misst und einen Bettlägerigen ordnungsgemäß lagert, ihm Essen anreicht, ohne dass er sich verschluckt und mit Pergamenthaut umgeht.“
Dennoch: Die körperlich anstrengende Pflege ist nur das eine. Die seelische Belastung wiegt oft viel schwerer. „Zu sehen, wie der geliebte Mensch abbaut.“ Zu erleben, dass er unter Erinnerungsstörungen und Halluzinationen leidet, in seiner Unsicherheit aggressiv reagiert, zeitweise seine Tochter nicht erkennt. „Das ist emotional hart.“
Die ganze Familie hielt zusammen
Wir suchen Ihre Geschichte als pflegender Angehöriger
Waschen, Essen anreichen, Windeln wechseln: Auf pflegende Angehörige kommen viele Aufgaben zu. Einige können Überwindung fordern, andere sind kräftezehrend. Viele Angehörige kommen dabei an ihre Grenzen, oft muss die Pflege mit eigenen Verpflichtungen vereinbart werden.
Pflege ist in Deutschland meist Familiensache. Ein Großteil der pflegebedürftigen Menschen wird zu Hause versorgt. Vielleicht haben Sie sich aufgrund einer zu großen Belastung auch entschieden, ihren Angehörigen in einem Pflegeheim betreuen zu lassen.
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Gut war es da, sich mit der Mutter und teils der Schwester abwechseln zu können, wenigstens zwischendurch ein wenig Entlastung zu erfahren. „Als Pflegender ist es wichtig, sich hin und wieder eine Auszeit zu gönnen. Auch wenn es nur eine Stunde ist.“ Ihr half, dass die ganze Familie da zusammenhielt.
Von der Krankenkasse fühlte die junge Frau sich gut unterstützt, „alles, was wir brauchten, wurde sofort genehmigt“. Pflegebett, Rollstuhl, Toilettenstuhl, die Liste ist lang. Das Pflegegeld für Angehörige aber müsste höher sein, findet sie. „Es ist nicht angemessen für die Arbeit, die geleistet wird.“
Die Erfahrungen mit Kurzzeitpflege und Krankenhaus haben sie zu der Überzeugung kommen lassen: „Das System ist nicht in Ordnung. Der Personalschlüssel in der Pflege ist zu gering.“ Es habe sehr gute Kräfte gegeben – und andere, die ihr fehl am Platze schienen. „Aber es wäre unfair, alle über einen Kamm zu scheren.“
Klar verliere man als pflegender Angehöriger auch mal die Nerven und den Mut. „Meine Mutter und ich haben uns dann gegenseitig aufgebaut“, erzählt Melek Akbaba. Auch ihr Mann, den sie zwischenzeitlich heiratete, stärkte ihr den Rücken. Gut unterstützt fühlte sich die Familie vom Hausarzt und teils von Pflegefachkräften. Die Anerkennung durch andere allerdings bleibe meist aus, bedauert Melek Akbaba.
Was aber während der Zeit das Wichtigste für sie war: „Mein Vater freute sich, dass wir da waren. Egal wie schlecht der Tag war: Ein Danke von ihm, ein Streicheln über den Arm, das war unglaublich viel wert.“