Bottrop. Apotheker-Verfahren sieht die Kammer Anlass zur Befangenheit. Ans Schwurgericht gibt sie den Fall nicht ab. Auch sie kann auf Mord erkennen

  • Im Apotheker-Verfahren sieht die Kammer Anlass zur Befangenheit
  • Ans Schwurgericht gibt sie den Fall nicht ab
  • Auch sie kann auf Mord erkennen

Der Prozess gegen den der Medikamentenpanscherei verdächtigen Bottroper Apotheker Peter Stadtmann am Landgericht Essen wird fortgesetzt – allerdings ohne den Schöffen, der selbst Apotheker sowie Ehemann einer Krebskranken ist. An seine Stelle tritt der Ersatzschöffe, der bereits an den ersten Verhandlungstagen im Saal teilgenommen hatte. Die Wirtschaftsstrafkammer lehnte zudem einen Antrag der Nebenkläger ab, das Verfahren gegen den 47 Jahre alten Stadtmann wegen angeblichen „Massenmordes“ an das für Tötungsdelikte zuständige Schwurgericht abzugeben.

Dies sei aus rechtlichen Gründen gar nicht möglich, begründete Richter Johannes Hidding. Gleichwohl könne sein Gericht den Angeklagten auch wegen eines Tötungsdeliktes verurteilen, wenn die Beweislage dies erfordere: „Die Kammer hat die Rechtsmacht, jedwede Sanktion auszusprechen.“

Prozessbeteiligt überrascht

Der Beschluss der Kammer, den Schöffen wegen Befangenheit vom Verfahren zu befreien, überraschte viele der Prozessbeteiligten. Denn die Verteidiger hatten ihn nicht als befangen eingestuft, auch die Nebenkläger, also die mutmaßlichen Opfer des Angeklagten, waren sich in dieser Frage nicht einig.

Peter Stadtmann wird vorgeworfen, aus Geldgier Krebsmedikamente gestreckt zu haben. In 60 000 Fällen wird ihm deshalb Medikamentenfälschung vorgeworfen, außerdem Abrechnungsbetrug gegenüber den Kassen.

Angestellt in einer Apotheke

Dass der Schöffe Apotheker ist und seine Frau an Krebs erkrankt sei, hatte der Schöffe selbst erklärt. Der Berliner Nebenklageanwalt Khubaib-Ali Mohammed stellte deshalb den Antrag, ihn wegen Befangenheit abzuberufen.

Der Schöffe war von 1975 bis 1983 in einer Bottroper Apotheke angestellt gewesen, allerdings nicht in der Alten Apotheke des Angeklagten, die heute seine Mutter führt. Außerdem war die Ehefrau des Schöffen an Krebs erkrankt. Zur Nachbehandlung geht sie zu einem Bottroper Onkologen, der in einem Haus des Angeklagten gegenüber der Alten Apotheke sitzt und von der Verteidigung als Zeuge benannt wurde. Der Schöffe berichtete zudem, dass er regelmäßig an Gesprächen seiner Frau mit diesem Arzt teilnehme.

Aus diesen Einzelpunkten sei keine Befangenheit abzuleiten, betonte die Kammer. In der Gesamtschau begründe diese Nähe des Schöffen zum Lebensbereich des Angeklagten aber die Ablehnung. Richter Hidding: „Diese Entscheidung ist nicht mit einem Vorwurf an den Schöffen verbunden.“

14 Sitzungstage angesetzt

Für den Prozess stellt dies kein Problem dar, weil die Kammer in dem zunächst auf 14 Sitzungstage terminierten Verfahren einen Ersatzschöffen berufen hatte. Weil er jetzt einspringt, darf allerdings kein weiterer Schöffe mehr ausfallen. Dann wäre das Verfahren geplatzt.

Wie eine juristische Lehrstunde für manche Rechtsanwälte wirkte der Beschluss der Kammer, das Verfahren nicht ans Schwurgericht abzugeben. Das hatten Anwälte der Nebenklage beantragt, weil das mutmaßliche Verhalten des Apothekers ihrer Ansicht nach zumindest versuchter Mord sei. Die Kammer wies sie darauf hin, dass es für eine solche „Verweisung“ nach Eröffnung der Hauptverhandlung gar keine rechtliche Möglichkeit gibt.

Das Gericht sieht das auch nicht als problematisch an. Denn tatsächlich sei die Kammer ja nicht an die Rechtsauffassung der Staatsanwaltschaft, nach der kein Tötungsdelikt vorliege, gebunden. Hidding: „Die Kammer prüft alles.“ Theoretisch droht Apotheker Peter Stadtmann damit sogar eine Verurteilung zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe wegen Mordes. Aber dafür müsste die Kammer ihm erst einen rechtlichen Hinweis erteilen. Und dafür hat sie bislang angesichts der Beweislage keine Veranlassung gesehen.