Bottrop. . Abitur nach acht Jahren oder doch nach neun Jahren? Ein Interview mit den Schulleitern Reinhard Schönfeld (JAG) und Jochem von Schwerdtner (WBG).
- Eine Initiative Landesebene sammelt Unterschriften für die Rückkehr zum Abitur nach neun Jahren
- Auf Bottroper Gymnasien gibt es das Abi nach acht, auf Gesamtschulen nach neun Jahren
- Die Auswirkungen der Initiative befürchten die betroffenen Schulleiter
Abitur nach acht Jahren oder doch nach neun Jahren? Diese Frage wird seit Jahren leidenschaftlich diskutiert. Aktuell läuft die Unterschriftensammlung für ein Volksbegehren, das zurück will zu neun Jahren weiterführender Schule bis zum Abi. Reinhard Schönfeld ist Schulleiter des Josef-Albers-Gymnasiums. An der größten Schule dieser Art in Bottrop gibt es das Abi nach acht Jahren. Jochem von Schwerdtner leitet die größte Gesamtschule Bottrops. An der Willy-Brandt-Gesamtschule folgen die Abiturprüfungen nach neun Jahren. Im Gespräch mit WAZ-Redakteur Matthias Düngelhoff legen sie ihre Sicht der Dinge dar.
Werden Sie für das Volksbegehren unterschreiben?
v. Schwerdtner: Nein. Denn auch wenn es zunächst den Anschein hat, wir als Gesamtschule wären nicht betroffen, weil wir ja sowieso G 9 anbieten. Aber das Begehren sieht ja eine Gesetzesnovelle vor, nach der alle Schulen der Sekundarstufe I künftig 180 Wochenstunden für die Schüler bereithalten sollen. An integrierten Schulen, dazu gehören auch die Gesamtschulen, sind es aber jetzt 188 Stunden. Für uns wäre die Folge also, dass Förderstunden, Berufsorientierung oder die Vorbereitung auf die Sekundarstufe II wegfielen.
Schönfeld: Das sage ich nicht. Mein Problem ist vielmehr, dass es immer schwieriger wird, dieses Thema sachlich zu diskutieren. Allein schon der Begriff „Turbo-Abi“ geht ja schon ein Stück weit in eine Richtung. Zu der ganzen Debatte gehört ja auch, dass zur Jahrtausendwende, also die Diskussion um die Schulzeitverkürzung anfing, keine politisch verantwortliche Gruppe dagegen war. Die Leistungen der Schüler haben sich nicht verändert, das haben wir bei uns an der Schule gesehen, das zeigen auch Studien.
Was hätte es denn für Folgen, wenn sich die Initiative durchsetzt?
Schönfeld: Über eine Rückabwicklung der Schulzeitverkürzung mag ich gar nicht nachdenken. Bei der Änderung hin zum G 8 hatten wir ja im Vorfeld gut sechs Jahre Zeit, uns damit zu beschäftigen und die Methoden entsprechend zu entwickeln und umzustellen. Und trotzdem waren dann beim ersten G8-Jahrgang die Ressourcen ein Problem, weil es beispielsweise immer noch keine Schulbücher dafür gab. Außerdem muss man sehen, was wir seit der Einführung von G8 alles verändert haben, etwa die Umstellung auf den 60-Minuten-Rhythmus. Wir haben die Lehrpläne durchforstet, Fortbildungen angepasst und verändert - all das stände dann wieder auf dem Prüfstand. Hinzu käme, dass wir dann wieder einen zusätzlichen Jahrgang hätten. Das sind rund 180 Kinder. Für die brauchen wir Lehrer und auch Räume. Denn auch unser Raumprogramm haben wir verändert, zum Beispiel zusätzliche Fachräume schaffen können.
v. Schwerdtner: Für uns hätte es ja auch Folgen. Denn die am Gymnasium fehlenden Ressourcen sollen ja von anderen Schulen kommen.
Aber wäre die Belastung für die Schüler nicht geringer?
Schönfeld: Die Schüler sind heute anders als früher. Selbstverständlich merken auch sie die Arbeitsverdichtung, wie auch die Lehrer und wahrscheinlich jeder Berufstätige. Hinzu kommt, dass sie von 24 Stunden 20 online sind, zum Teil bis spät in die Nacht. Wir sind dann auf der Ebene, auf der das aufgefangen wird, weil bei uns dann Leistung abgefordert wird. Aber die Frage ist ja, wo die Ursache für den Stress liegt, ob das tatsächlich die Schulen sind. Und Konflikte, die in sozialen Netzwerken ausbrechen, werden auch in die Schule getragen.
Neben G 8 ist die Inklusion das große Thema, dass die Schulen umtreibt.
v. Schwerdtner: Wir haben bei uns Inklusivkinder, die auch am Gymnasium unterrichtet werden könnten. Wir haben aber auch andere Fälle. Und es ist eine besondere Herausforderung, weil das alles nicht Bestandteil der Lehrerausbildung war. Es fehlen die entsprechenden Sonderpädagogen – und das gilt für alle Schulen in Bottrop. Dazu kommt die Frage nach den entsprechenden Räumen.
Was wünschen Sie sich denn?
Beide spontan: Ruhe!
Schönfeld: Wir haben keine Zeit, uns zu konsolidieren, wir haben nicht die Chance, Routinen auszubilden. Aber auch die sind wichtig in den Schulen. Unser Beruf ist ja auch ein Handwerk.
v. Schwerdtner: Ein Beispiel aus der Praxis. Wir haben jetzt bei uns mit viel Mühe den Lehrplan umgestellt hin zum geforderten kompetenzorientieren Lehrplan. Jetzt kommt schon die nächste Veränderung. Dabei wird die Konzentration aufs Kerngeschäft, die Pädagogik und die Vermittlung, immer schwieriger. Es ist, als habe man ein Unternehmen und stellt bei laufendem Betrieb die Software um.
Schönfeld: Zumal ich behaupte, dass die Bereitschaft unter den Lehrern, etwas in den Schulen zu tun, noch nie so groß war, auch was die Förderungen und Unterstützung der Schüler angeht. Und auch die sind zwar anders als die Generationen vorher, aber nicht schlechter.
Wenn Sie sich ihre ideale Schule bauen könnten, wie sähe die aus?
v. Schwerdtner: Ich würde bei der Schulform bleiben, die ich leite, hätte aber kleinere Klassen. Dazu gleichzeitig mehr Räume und vor allem auch situationsangemessene Räume, gerade wenn es um Inklusion geht. Dort könnten dann gegebenenfalls Kriseninterventionen stattfinden, und eine entsprechende Fachkraft fängt solche Situationen dort dann auch auf. Dazu würde ich mir eine klarere Struktur in der Schullandschaft wünschen, so dass die Qual der Wahl für die Eltern vielleicht nicht mehr so groß ist und möglicherweise auch die Konkurrenz unter den Schulen etwas zurückgeht.
Schönfeld: Ich bin überzeugter Gymnasiallehrer und bleibe dabei, dass ich mir Ruhe wünsche und Zeit, um mit dem Kollegium zu arbeiten, professioneller zu werden und auch das, was wir getan haben noch weiter zu evaluieren.
v. Schwerdtner: Dazu sage ich manchmal etwas flapsig, dass ich ein kleines mittelständisches Unternehmen leite. Wir haben einen Etat und dazu die Themen Personalentwicklung, Organisationsentwicklung und Unterrichtsentwicklung, die bei all dem eine große Rolle spielen. Ich moderiere seit zwei Jahren für die Bezirksregierung die Fortbildungen für angehende Schulleiter. Die sind anfangs immer unsicher, wie all das funktioniert