Bottrop. . Wegen der Rathaussanierung werden rund 6500 Bände der wertvollen BuchsammlungWesterholt-Gysenberg verpackt und sehr vorsichtig transportiert. Folianten sind bis zu 500 Jahre alt
- Wegen der Rathaussanierung werden jetzt rund 6500 Bände einer Buchsammlung verpackt
- Die wertvollen Werke sind bis zu 500 Jahre alt
- Sie gehören zur Sammlung Westerholt-Gysenberg, die der Stadt mit Glück zufiel
Eine Schatzkammer voller alter Bücher wird ausgeräumt: Wegen der Rathaus-Sanierung wird die historische „Buchsammlung Westerholt-Gysenberg“ des Stadtarchivs mit 2893 Titeln in 6500 Bänden ausgelagert. Zum Glück reisen die schönen alten Bücher in gutem Zustand: Mit Unterstützung der Krupp-Stiftung und mit Geld der Stadt Bottrop hatte die Universitätsbibliothek Münster die bis zu 500 Jahre alten Bände katalogisiert, bei Bedarf restauriert und konserviert. „Dennoch muss dieser Umzug ganz, ganz vorsichtig erfolgen“, sagt Stadtarchiv-Mitarbeiter Gerd Löcker: „Wir transportieren die Bücher, als wären sie aus Glas.“
Alles durchnummeriert
Stadtarchivarin Heike Biskup muss nicht nur verhindern, dass den kostbaren Folianten beim Umzug ein Schaden zustößt. Sie muss dafür sorgen, dass die Sammlung nicht durcheinander gerät. Wenn das passierte - viel Spaß beim Suchen unter 3500 Bänden plus der Sammlung historischer Gesetzestexte! Deshalb hat das Team jeden einzelnen Band vor dem Umzug durchnummeriert. 400 Kisten, schätzt Löcker, werden ein- und ausgepackt.
Wie kommt eine Sammlung von kostbaren Büchern aus dem 16. bis 19. Jahrhundert überhaupt nach Bottrop? Weil die Erben von Graf Fritz Westerholt, bis zu seinem Tode Herr auf Schloss Arenfels in Pheinland-Pfalz, 1951 dessen Waffensammlung und Bibliothek versteigern ließen. „Es wäre zu wünschen, dass dieses einzigartige Studienmaterial nicht in alle Winde zerstreut würde, sondern dass eine öffentliche Sammlung sich seiner annähme“, wünschte sich Literaturhistoriker Richard Alewyn im Auktionskatalog. Mit den Werken aus dem Katalog gelang das teilweise, 400 Werke landeten zum Teil auf Umwegen an der Universitätsbücherei Köln.
Aber der damalige Bottroper Stadtarchivar entdeckte einen weiteren Bücherbestand, der gar nicht im Auktionskatalog aufgeführt war, wie Historiker Peter Peitz festhielt. „Dieser Posten wurde in einem Turm aufbewahrt und nicht auf der öffentlichen Versteigerung veräußert.“ Für 1300 D-Mark erwarb Schetter den Bestand in der Hoffnung, darin viel Stoff zu finden über die Geschichte des Vestes Recklinghausen, die das Geschlecht derer von Westerholt seit dem frühen Mittelalter mit geprägt hatte. Sowohl die Westerholts als auch die Gysenbergs gehören zum westfälischen Uradel. Wessel von Westerholt zum Beispiel, geboren 1340, starb als Hauptmann auf der Kölner Seite der „Dortmunder Fehde“ von 1388/9, als der Kölner Kurfürst und viele westfälische Städte Dortmund ihren Status als Freie Reichsstadt mit Waffengewalt entreißen wollten. (Dortmund überlebte damals bankrott, aber unbesiegt).
Mehr als erhofft
Bottrop bekam weit mehr als erhofft. Zum Beispiel theologische Raritäten wie ein Traktat eines gewissen Dr. Martin Luther auf Latein über Kain, Abel und die Erbsünde, Holzdeckel und Ledereinband durchbohrt von Holzwürmern. Der Reformator konnte nicht nur wortmächtig predigen, sondern extrem belesen disputieren. Oder das „Leipziger Kochbuch“ von 1729 von Johann Wolf. Untertitel: „Gründliche Anweisung, wie (...) einer Herrschaftlichen Tafel des zweiten und dritten Grades regelmäßig serviret werden soll“. Ein Buch über das, was bei Herzogs, Grafs und Érzbischofs auf den Tisch kam. Mit klugen Ratschlägen zum Beispiel dafür, wie der Muff des Karpfens überdeckt werden kann: einen Hering mit in die Schüssel geben und alles ohne Wasser und Salz sieden. Der kundige Autor warnt: „Nimm dich in Acht, dass die Hitze anfänglich nicht zu groß ist, es möchte sonst die Schüssel schmelzen.“ Die war gewöhnlich aus Zinn.
Fast oder ganz vergessen
Solche Alltagsliteratur macht einen eigenen Wert der Sammlung aus, die Stadtarchivarin Heike Biskup als „historisch äußerst wertvoll und sehr selten“ bezeichnet. Den Grundstock legten nach Peitz’ Angaben Gräfin Wilhelmine Friederike von Westerholt-Gysenberg (1757 bis 1820) und ihr Mann Ludolf Friedrich Adolf Freiherr von Boenen (1747 bis 1828) auf Schloss Berge mit Romanen, Reisebeschreibungen, Garten- und Hauswirtschaftsbüchern und Büchern zur aktuellen Politik. Gesammelt wurde auch, was heute fast oder ganz vergessen ist: die ersten Brief-, historischen oder Schauerromane. Weil der Freiherr Vorsitzender des Theatervereins Münster war und verwandt mit Wolfgang Heribert von Dalberg, Intendant des Mannheimer Nationaltheaters, finden sich in der Sammlung zahlreiche Theaterstücke. Zum Beispiel die Komödie „La Folle Journeè“, erschienen 1785 in Paris und Wien. Das Stück ist heute sehr viel besser bekannt als die Vorlage zu Mozarts komischer Oper „Figaros Hochzeit“.