Ein Apotheker sitzt in Untersuchungshaft, weil er Arzneien für Krebstherapien in 40 000 Fällen unterdosiert haben soll. Apothekersprecher Mies: Unglaublich

  • Staatsanwaltschaft ermittelt wegen Abrechnungsbetrugs und Verstoßes gegen das Arzneimittelgesetz
  • Der Beschuldigte soll in 40 000 Fällen Krebsimmuntherapie-Infusionen zu niedrig dosiert haben
  • Krebsarzt: Falls sich das als wahr erweist, wäre es absolut verwerflich gegenüber Ärzten wie Patienten

Die Verhaftung eines 46-jährigen Apothekers, dem Verstöße gegen das Arzneimittelgesetz und Abrechnungsbetruges zur Last gelegt werden, löst in Bottrop Fassungslosigkeit aus. Die Staatsanwaltschaft wirft dem Apotheker vor, Infusionen für Krebsimmuntherapien entgegen den Rezepten der Ärzte mit zu niedrigen Arzneimitteldosen zubereitet zu haben.

„Ich kann das einfach nicht glauben“, sagt Krebsarzt Dr. Dirk Pott, in dessen onkologischer Gemeinschaftspraxis Patienten mit solchen Infusionen behandelt werden. „Falls sich das als wahr erweist, wäre das absolut verwerflich gegenüber Patienten und Ärzten.“ Dr. Pott sorgt sich vor allem um die Krebspatienten. Denn die kranken Menschen werden nun an ihre Ärzte vor allem diese Fragen haben: Habe womöglich auch ich eine oder mehrere dieser falsch dosierten Infusionen bekommen? Welche Folgen kann es für mich haben, wenn darin weniger Medikamente waren, als mein Arzt mir verordnet hat?

„Infusionen sind normalerweise abgestimmt“

„Normalerweise sind die Infusionen abgestimmt auf die Heftigkeit des Krebses. Auch die Konstitution eines Patienten spielt eine Rolle“, erklärt Florian Mies, Vorsitzender des Bottroper Apothekerverbandes. „Falls da bewusst geschlampt worden wäre“, sagt Mies und hält inne, „unglaublich“. Es gebe nur wenige Apotheker, die darauf spezialisiert sind und die nötigen Labore besitzen. „Bundesweit sind es um die 100“, meint der Apotheker-Sprecher. Auch Dr. Pott ist deshalb skeptisch. Die Apotheke des in Haft genommenen Verdächtigen besitze Zertifikate für ihren speziellen Service. Sie müsse dazu doch etliche Qualitätskontrollen durchlaufen haben.

Aussagen in aller Vorsicht

Die Medikamenteninfusionen werden individuell auf jeden Patienten abgestimmt, erklärt der Bottroper Arzt. „Anhand von Studien ist bewiesen, in welcher Dosierung sie wirken“, betont er. Ziel dieser Therapien sei es, den Menschen trotz ihrer schweren Erkrankung ein halbwegs normales Leben zu ermöglichen und es auch etwas zu verlängern.

„Wenn man die Medikamente unterdosiert, mag es sein, dass es nicht optimal wirkt“, sagt der Mediziner in aller Vorsicht. Denn dies lasse sich ja nicht so eindeutig feststellen. Denn es hätten offenbar ja nicht immer dieselben Patienten die womöglich falsch zubereiteten Infusionen erhalten und dies auch nicht permanent.

Staatsanwaltschaft spricht von 40 000 Fällen

Der Apotheker sitzt seit Dienstag in Untersuchungshaft. Die Staatsanwälte haben den Verdacht, dass er solche Infusionen seit 2012 in mindestens 40 000 Fällen zu niedrig dosiert und dabei außerdem gegen Hygieneregeln verstoßen habe. Die Krankenkassen sind nach Einschätzung der Essener Oberstaatsanwältin Anette Milk so um rund 2,5 Millionen Euro geschädigt worden. Für die Staatsanwaltschaft erfüllt das den Tatbestand des gewerbsmäßigen Abrechnungsbetrugs sowie von Verstößen gegen das Arzneimittelgesetz, weil er „in ihrer Qualität nicht unerheblich geminderte Arzneimittel“ in Verkehr gebracht habe. Der Anwalt des Beschudigten gab gestern auf WAZ-Anfrage keine Stellungnahme zu den Vorwürfen ab.