Bottrop. . Ab Januar 2017 wird die Pflegebedürftigkeit nach neuen Begutachtungskriterien eingestuft.Fünf Pflegegrade lösen die Pflegestufen ab.
Mit der Pflegereform greifen zum 1. Januar 2017 Änderungen im Begutachtungsverfahren, zudem ersetzen Pflegegrade die bisherigen Pflegestufen. Die wichtigsten Aspekte für Pflegebedürftige und Angehörige stellt Dagmar Spans-Philippi von der städtischen Senioren- und Pflegeberatung für die WAZ-Leser vor.
Pflegebedürftigkeit neu definiert
Dagmar Spans-Philippi nennt die neue Definition des Pflegebedürftigkeitsbegriffs: „Pflegebedürftig sind Personen, die gesundheitlich bedingte Beeinträchtigungen der Selbstständigkeit aufweisen und deshalb Hilfe von anderen brauchen. Pflegebedürftig sind Personen, die körperliche, kognitive oder psychische Belastungen oder gesundheitlich bedingte Belastungen nicht selbstständig kompensieren oder bewältigen können.“ Die Pflegebedürftigkeit muss dabei auf Dauer bestehen, voraussichtlich für mindestens sechs Monate.
Grundlage der Einstufung von Pflegebedürftigen ist also ab 1. Januar der Grad der Selbstständigkeit bzw. die Beeinträchtigung der Selbstständigkeit und Fähigkeiten. „Wichtig ist: Der Zeitfaktor fällt weg“, betont Spans-Philippi. Bislang wird noch in einem starren Minuten-Korsett gemessen, welcher Hilfebedarf bei der Grundpflege und der hauswirtschaftlichen Versorgung erforderlich ist, und danach die Pflegestufe bestimmt.
Das neue Begutachtungssystem
Um festzustellen, ob bzw. in welchem Grad eine Pflegebedürftigkeit vorliegt, prüft der Medizinische Dienst der Krankenkassen künftig sechs Kriterien: 1. Mobilität. „Da geht es zum Beispiel um die Fortbewegung innerhalb des Wohnbereichs und ums Treppensteigen“, sagt die Fachfrau. Ist etwa ein Rollator vorhanden, wird davon ausgegangen, dass durch dieses Hilfsmittel die Mobilität gegeben ist. 2. Kognitive und kommunikative Fähigkeiten. „Örtliche und zeitliche Orientierung spielen hier eine Rolle“, so Spans-Philippi. 3. Verhaltensweisen und psychische Problemlagen. Nächtliche Unruhe oder selbstschädigendes Verhalten nennt die Beraterin als Beispiel. 4. Selbstversorgung – also etwa die Körperpflege. 5. Umgang mit krankheits- und therapiebedingten Anforderungen und Belastungen. Hier geht es um Fragen wie Medikamenteneinnahme, Wundversorgung, Arztbesuche, Therapieeinhaltung. 6. Gestaltung des Alltagslebens und sozialer Kontakte. „Dieser Punkt war bei der alten Begutachtung überhaupt nicht vorgesehen.“
Rund 4700 Betroffene
Die Zahl der Pflegebedürftigen in Bottrop lag im Jahr 2013 bei 4666. Das entspricht einem Anteil von vier Prozent an der Gesamteinwohnerzahl. 2360 Pflegebedürftige wurden dabei zu Hause gepflegt. Aktuellere Zahlen liegen laut Sozialamt derzeit noch nicht vor. Grundsätzlich werden die Zahlen zur Pflegebedürftigkeit im Zwei-Jahres-Rhythmus erhoben.
In ganz Nordrhein-Westfalen zählten die Statistiker 581 500 Pflegebedürftige im Jahr 2013. Für 2030 rechnen Experten mit einem Anstieg auf 700 000 Frauen und Männer, die Pflege benötigen.
Der Aspekt der sogenannten eingeschränkten Alltagskompetenz, die sich auf Menschen mit Demenz oder psychischen Beeinträchtigungen bezieht, fließt in die neuen Begutachtungskriterien ein.
Pflegegrade lösen Pflegestufen ab
Die sechs Kriterien werden bei der Einstufung unterschiedlich stark gewichtet, der Punkt der Selbstversorgung hat das größte Gewicht. Aus der Gesamtbewertung ergibt sich die Einordnung in einen von fünf Pflegegraden, die die bisherigen Pflegestufen 0 bis 3 ab 1. Januar ablösen. Das Spektrum reicht dann von Pflegegrad 1 – „geringe Beeinträchtigung der Selbstständigkeit“ – bis Pflegegrad 5 – „schwerste Beeinträchtigung der Selbstständigkeit mit besonderen Anforderungen an die pflegerische Versorgung“.
Was ist zu tun, wenn man bereits Pflegeleistungen bezieht?
Die einfache Antwort lautet: nichts. „Wer jetzt eine Pflegestufe hat, wechselt automatisch in einen Pflegegrad“, erläutert Spans-Philippi. Es werde nicht neu begutachtet und niemand schlechter gestellt. Dabei gilt: Menschen mit ausschließlich körperlichen Einschränkungen erhalten den nächst höheren Pflegegrad; Menschen mit geistigen Einschränkungen den übernächsten.
Demenzkranke profitieren
Dagmar Spans-Philippi schätzt das neue Begutachtungssystem als gerechter ein. „Profitieren werden vor allem auch Demenzkranke“, sagt sie. Geistige und psychische Einschränkungen werden nun genauso erfasst wie körperliche Beeinträchtigungen. „Man muss gucken, wie sich das bewähren wird“, sagt die Fachfrau.
Noch ein Tipp von ihr für pflegende Angehörige: Es besteht, wenn künftig mindestens Pflegegrad zwei vorliegt, ein Anspruch auf Kurzzeitpflege: Die Pflegekasse zahlt 1612 Euro für maximal vier Wochen vollstationärer Unterbringung des Pflegebedürftigen, wenn der pflegende Angehörige z.B. Urlaub macht oder eine Krisensituation auftritt. Dazu kommt ein Anspruch auf Verhinderungspflege (Leistung aus der Pflegekasse für die Vertretung des pflegenden Angehörigen; Voraussetzung ist, dass der Pflegebedürftige mindestens seit sechs Monaten zu Hause betreut wird).
Dieses Geld kann entweder für die Vertretung durch Verwandte, Bekannte oder einen Pflegedienst daheim verwendet werden. Oder komplett für vollstationäre Kurzzeitpflege eingesetzt werden. „Damit sind jetzt bis zu acht Wochen Kurzzeitpflege im Jahr möglich“, erläutert die Expertin.