Bottrop. . Beatrix Schweizer ordnet das Fotoarchiv ihres verstorbenen Vaters, des Fotografen E.-G. Schweizer. Bilder sind Panorama der Stadt-Historie.
Wie viele Meter historischen Filmmaterials sie in den vergangenen Jahren gesichtet hat, kann Beatrix Schweizer beim besten Willen nicht sagen. Aber was zählt, ist schließlich das Ergebnis: „115 000 Bilder aus den späten 40er und 50er Jahren habe ich bereits einzeln unter die Lupe genommen, gescannt und auf dem Computer abgespeichert“, sagt die älteste Tochter der bekannten Bottroper Fotografendynastie.
Dahinter stecken bereits gut zehn Jahre Arbeit. In 74 Ordnern und 101 Unterordnern hat die 62-Jährige die Ansichten von Menschen, Stadt und Land nach Themengruppen sortiert. „Man schafft vielleicht 70 Fotos pro Tag“, weiß Beatrix Schweizer. Im Gegensatz zu Vater Ernst-Günther - in Bottrop kannten ihn die meisten schlicht als „E.-G.“ - ihrem Großvater und ihrer jüngeren Schwester Birgit, der langjährigen Fotografin der Bottroper-WAZ-Redaktion, hat sie die Fotografie nie zu ihrem Beruf gemacht. „Aber ich fotografiere natürlich gerne.“
Bei der Archivierung taucht Beatrix Schweizer immer wieder auch in die Familiengeschichte ein. Die runden Metallbehälter für die zum Teil fast 70 Jahre alten Filmrollen tragen die Handschrift ihres Vaters.
Einen großen Teil der Arbeiten erledigt sie am alten Schreibtisch, den schon ihr Großvater, als er 1934 das Fotostudio übernahm, im Laden an der Essener Straße benutzte. Ein alter Schrank mit geschliffenen Glasscheiben stammt ebenso aus dem früheren Geschäft, wie ein mechanischer Druckstempel, mit dem die Schweizers jahrzehntelang die Rückseiten der Papierabzüge mit ihrem Copyright versahen.
„Irgendwann war uns beiden klar, dass wir die Unmengen von Material ordnen mussten“, sagt Beatrix Schweizer. „Angefangen haben wir um Vaters 80. Geburtstag herum, 2005. Er konnte sich zum Glück an viele Situationen, Menschen oder Gebäude erinnern, die auf seinen Negativen zu sehen sind.“
Das wird zunehmend schwieriger. Oft muss der Rat älterer Bottroper eingeholt werden. Denn was nützt ein Foto, wenn man nicht weiß, was oder wer darauf zu sehen ist.
Zum Beispiel ein Sämann aus den 50er Jahren, der seine Saat auf einem Acker vor der damals noch rauchenden Bottroper Industriekulisse von Hand ausbringt, die Fußballer im Jahnstadion, längst verstorbene Pfarrer, die mit Tausenden von Gläubigen einst in großen Fronleichnams-Prozessionen zogen: Wer waren sie?
Gebäude, Straßen oder Prominente, die E.-G. Schweizer in seiner langen Zeit als Fotoredakteur - zunächst bei der WAZ, dann bei den Ruhrnachrichten - vors Objektiv bekam, lasse sich dagegen bis heute leichter identifizieren. Der Charme des Archives, das Beatrix Schweizer nun Jahrzehnt für Jahrzehnt durchkämmt, besteht gerade auch in der Kombination so genannter „staatstragender“ Ereignisse mit Alltagsbildern, die ihr Vater als wichtig genug erachtete, um sie zumindest für eine kleine Ewigkeit zu erhalten. Demnächst geht es an die 60er und 70er Jahre - noch einmal gut 300 000 Fotos. Ein wahres Fressen fürs Stadtarchiv, das bald auch diese Jahrzehnte im Bild hüten kann.
Fotos zeigen auch den Wandel in Staat und Kirche
Die bereits digitalisierten historischen Fotografien aus den 50er Jahren aus den umfangreichen Negativ-Beständen ihres Vaters übergab Beatrix Schweizer bereits dem Stadtarchiv. Dort stehen sie Chronisten, Forschern aber auch der Öffentlichkeit nun als wertvolles Quellenmaterial zur Verfügung.
„Wir freuen uns, dass wir diese Sammlung, die vor allem auch Aufschluss über Privates oder das Alltagsleben in Bottrop der vergangenen 65 gibt, unseren Beständen hinzufügen konnten“, sagt Stadtarchivarin Heike Biskup. Die Sammlung eröffnet einerseits neue bildliche Perspektiven auf die offizielle Seite der Stadt, wie zum Beispiel bei Besuchen hochrangiger Politiker, Kirchenführer, Gewerkschafter oder auch Prominenten aus Sport, Kultur und Unterhaltung.
Andererseits lässt sich mit Hilfe der Fotodokumente auch die bauliche wie soziale Entwicklung der Stadt seit Kriegsende und Wiederaufbau nachvollziehen. So erstaunt es heute beispielsweise, wie ländlich Bottrop noch in den 50er und 60er Jahren des vergangenen daherkam, obwohl die Schwerindustrie und Kohleförderung damals ihre letzte große Blüte erlebte.
Wenn - wie im nebenstehenden Bild - Oberbürgermeister Ernst Wilczok den damaligen Bischof von Münster, Michael Keller, offiziell begrüßt, erinnert dies auch an strukturelle Veränderungen durch die Gründung des Bistums Essen, zu dem Bottrop seit 1958 gehört.