Bottrop. . Elisabeth Jankow macht zweimal in der Woche in der Tagespflege Musik. Die Bottroperin war früher Lehrerin am Vestischen Gymnasium.

„Ich richte mich nach dem, was die Leute wollen“, sagt Elisabeth Jankow und greift schwungvoll in die Tasten. Jetzt wollen sie gerade „Hoch auf dem gelben Wagen“. Kräftig ertönen die Stimmen von an die 20 Frauen und Männer. Textsicher bringen die Senioren die beiden ersten Strophen des Volksliedes zu Gehör. Und sie könnten auch noch eine dritte Strophe. Aber Elisabeth Jankow wäre nicht alte Musiklehrerin, wenn sie nicht versuchen würde ihren Chor, der es gemeinsam auf über 1000 Lebensjahre bringt, auch noch ein bisschen musikalisch zu bilden. Und deshalb kommt erst einmal Klassik.

Zweimal die Woche sind Elisabeth Jankow und ihr Klavier der Anziehungspunkt schlechthin in der Tagespflege der Diakonie an der Otto-Joschko-Straße. „Es gibt Gäste, die wollen unbedingt immer an den Tagen kommen, wenn Frau Jankow hier ist“, verrät Einrichtungsleiter Michael Henricy und freut sich an der unerwarteten Attraktion, die der Tagespflege durch reinen Zufall ins Haus schneite.

Für Elisabeth Jankow, inzwischen 86 Jahre alt, war es ein eher schmerzvolles Ereignis. Sie hatte sich nämlich den Fuß gebrochen, lag zuerst im Krankenhaus und musste dann noch für fünf Wochen in die Kurzzeitpflege. Sie kam bei der Diakonie an der Otto-Joschko-Straße unter. Und hier entdeckte sie eines Tages ein altes, ziemlich verstimmtes Klavier. Weil ja bei der Genesung alles hilft, was die Seele streichelt, griff die frühere Lehrerin dann täglich in die Tasten und hatte bald ihre Mitpatienten um sich geschart.

Jeder hat ein „Gesangbuch“

Seit einem Jahr nun ist Elisabeth Jankow selber an zwei Vormittagen Gast der Tagespflege und hat sich da nur zu gerne für das Ehrenamt engagieren lassen. Ihr vor vier Monaten verstorbener Mann habe sie sehr bestärkt in diesem Plan, erzählt die Bottroperin. Wenn sie nun um 11 Uhr die ersten Töne auf dem Klavier anstimmt, dann eilen die Gäste herbei. Das Klavier klingt wundervoll, es ist nicht mehr das alte, verstimmte, sondern ein neues. Jeder Gast hat auch ein „Gesangbuch“, bestehend aus den kopierten Seiten mit allen Liedern.

Volkslieder mögen die Gäste besonders gerne. Die Melodie sitzt bei den meisten und für den Text müssen sie oft keinen Blick in ihr Liederbuch werfen. Elisabeth Jankow staunt oft, was Musik mit den Menschen macht: „Leute mit Parkinson, die sonst zittern und nicht sprechen können, die können plötzlich singen.“

Und so stimmt sie auch noch „Horch, was kommt von draußen rein“ an. Und verrät: „Eigentlich ist das ja nicht ganz mein Musikgeschmack.“ Bach und Haydn, das ist mehr der ihre. „Aber, wenn die Leute, die sonst so krank sind, sich freuen, ist das mein Lohn“, sagt die 86-Jährige.

Aber so ganz kann sie die Lehrerin nicht abstreifen und greift zu den gleichen pädagogischen Tricks wie einst bei ihren Schülern am Vestischen Gymnasium. Erst gibt es Wunschmusik und dann ein bisschen Musikgeschichte. „Das finde ich auch sehr wichtig“, sagt sie und erzählt den Senioren von Händel und der „Wassermusik“, die er für den englischen König Georg I. komponierte.

25 Jahre am Vestischen Gymnasium

Einige Songs von den Beatles hat sie auch noch aus ihrer Zeit als Lehrerin im Repertoire. 25 Jahre lang hat sie am Vestischen Gymnasium unterrichtet, bis sie 1995 pensioniert wurde. Und wenn sie ihre „Schüler“ von heute mit denen von früher vergleicht, dann stellt sie mit einem Schmunzeln fest: „Diese hier sind etwas wohlerzogener.“