Bottrop / Gladbeck. . Heute gehen die Bürger beider Städter entspannt miteinander um. Als Bottrop und Gladbeck 1975 zwangsweise vereinigt wurden, war das aber ganz anders.

Keine acht Kilometer liegen zwischen dem Bottroper und dem Gladbecker Rathaus, das sagt zumindest der Kartendienst Google Maps. Kurze Wege also zwischen den beiden Nachbarstädten, die heute, 40 Jahre nach dem Nikolaus-Urteil, im Großen und Ganzen ein entspanntes Miteinander pflegen. Zur Erinnerung: Vor 40 Jahren am 6. Dezember erklärte das Verfassungsgericht NRW die neu geschaffene Stadt Bottrop, bestehend aus Gladbeck, Kirchhellen und Bottrop – auch bekannt unter dem Spottnamen Glabotki – für nichtig. Heute spielen die Stadtgrenzen im Leben vieler Bürger keine Rolle mehr.

Feuerwehr

Der Spurt über die Stadgrenze – für die Feuerwehren Routine. Rund 800 mal im Jahr fahren die Bottroper Einsätze in Gladbeck und umgekehrt, schätzt Bottrops Feuerwehrsprecher Christoph Lang. Dabei geht es vor allem um den Rettungsdienst. „Diese Kooperation ist so mit dem Kostenträger vereinbart.“ Hinzu kämen Brand- und Hilfeleistungseinsätze. „Da arbeiten wir regelmäßig Hand in Hand, gerade auf den Autobahnen.“

Schnell ‘mal zum Einsatz über die Stadtgrenze, wenn dort Not am Notarzt ist – das ist für die Gladbecker Feuerwehr Alltag, bestätigt Peter Frank, stellv. Leiter der Gladbecker Hauptwache. Diese grenzüberschreitende, notwendige Zusammenarbeit hat übrigens dazu geführt, dass die Bottroper Kollegen ein zweites Notarzteinsatzfahrzeug behalten konnten, das zum Einsatz nach Gladbeck fahren kann, wenn das eigene Team bereits einen Notfall hat. Im Unglücksfall ist das sowieso keine Frage, da „reicht ein Knopfdruck“, sagt Frank.

Schüler

Das Gladbecker Angebot an den weiterführende Schulen steht bei Bottroper Schülern hoch im Kurs. Unter den rund 800 Auswärtigen sind zu zwei Dritteln Bottroper Kinder. Vor allem für Schüler aus dem Eigen liegen die drei Gladbecker Gymnasium in Stadtmitte näher als die zwei Gymnasien im Bottroper Stadtzentrum. Kirchhellener Kinder sind traditionell stark an den Gladbecker Realschulen vertreten. Das könnte sich mit der neuen Sekundarschule ändern. . . Aber die Gladbecker Waldorfschule, die in Bottrop kein Pendant hat, bleibt Anziehungspunkt für Bottroper Schüler. Gladbecker Kinder pendeln seltener zum Lernen über die Stadtgrenze, nur ca. 90 besuchen Schulen in Nachbarstädten.

InnovationCity verbindet: 2010 zeigten Bottrops OB Tischler und Gladbecks BM Roland demonstrativ, dass sie beim Umweltschutz an einem Strang ziehen. Foto: Birgit Schweizer Arbeitspendler

Bei den Arbeitspendlern ist das Verhältnis umgekehrt. Deutlich mehr Gladbecker verdienen ihre Brötchen in Bottrop – laut aktueller Statistik pendeln 2358 in die Nachbarstadt. Nach Gladbeck fahren täglich 1775 Bottroper zur Arbeit.

Pfadfinder

In Ratzeburg waren Bottrop und Gladbeck im Sommer gemeinsam unterwegs. Rund 300 Pfadfinder aus den beiden Städten haben da gemeinsam ihr Sommerlager abgehalten. „Wir haben das Lager ein Jahr lang vorbereitet in verschiedenen Arbeitskreisen mit Pfadfindern aus beiden Städten und haben da alle super zusammen gearbeitet“, sagt Jan Sienert, der als Kurat auch Mitglied des Bezirksvorstands ist. Ein Höhepunkt im Lager sei dann auch der spielerische Städtekampf an einem Tag gewesen, erzählt er. „Am Ende stand der symbolische Mauerfall zwischen den Städten“, ergänzt die Bezirksvorsitzende Ann-Kathrin Wesche.

Ein Kirchenkreis

Lange vor der versuchten Eingemeindung Mitte der 70er gab es auf kirchlicher Ebene bereits einen Zusammenschluss. Seit 1968 sind die Protestanten der Städte im Kirchenkreis Gladbeck-Bottrop-Dorsten vereint. Der Gladbecker Dietmar Chudaska ist Superintendent und damit geistlicher Leiter für alle; die Verwaltung und das Diakonische Werk, das in Gladbeck die Altenheime Martha- und Vinzenzheim betreibt, agieren von Bottrop aus. Dass ein Gladbecker Pfarrer mal in Bottrop predigt – oder umgekehrt ein Bottroper in Gladbeck – gehört ebenfalls zum Alltag.

Rotarier

Zwei Rotary-Clubs gibt es in der Region. Das Kuriose an der Situation: Die Clubs Bottrop-Wittringen und Gladbeck-Kirchhellen decken beide jeweils beide Städte ab. Letzterer ist aus dem Club Bottrop-Wittringen hervorgegangen. Für Eberhard Schmücker, Rotarier aus Kirchhellen, spielen Stadtgrenzen in dem Zusammenhang keine Rolle. „Wir achten aber schon darauf, dass Einrichtungen aus beiden Städten von unserem jährlichen Benefizkonzert profitieren“, sagt er.

Klage und Volksbegehren 

„Gladbeck und Kirchhellen gerettet“ – so lautete die Schlagzeile eines WAZ-Sonderdrucks zum Nikolaus-Urteil in Gladbeck. In Bottrop dagegen schrieb die WAZ von einem „superdicken Knüppel“, mit dem der Nikolaus durch das Verfassungsgericht auf die Stadt eingeschlagen habe. Dabei war zu Beginn des Jahres das Ruhrgebiets-Gesetz in Kraft getreten, nach dem Kirchhellen, Gladbeck und Bottrop zur neuen Stadt Bottrop zusammengeschlossen worden waren.

Dagegen hatten sich Kirchhellen und Gladbeck gewehrt – u.a. mit der Klage vor dem Landesverfassungsgerichtshof. Aber auch mit der Beteiligung an dem Volksbegehren der landesweiten „Aktion Bürgerwille“, zu deren Gründern 1973 auch der Gladbecker Architekt Alfred Luggenhölscher gehörte. Das Volksbegehren scheiterte jedoch 1974, weil landesweit das erforderliche Quorum von 20 % nicht erreicht wurde. In Gladbeck war es aber durchaus erfolgreich, rund 25 000, mehr als 40 % der Wahlberechtigten stimmten dafür – was aber nichts nutzte.

Das Nikolaus-Urteil setzte dann den Schlusspunkt. Die Richter erklärten das Gesetz im Punkt Glabotki für ungültig. Gladbeck und Bottrop seien Mittelzentren und als solche selbstständig lebensfähig. Der Gesetzgeber habe zudem die engeren Verflechtungen von Bottrop mit Essen oder Oberhausen sowie zwischen Gladbeck und Gelsenkirchen außer Acht gelassen.

Wenn ich Oberbürgermeister von Glabotki wäre . . . 

Bernd Tischler: OB Bottrop: Wenn ich Oberbürgermeister von „Glabotki“ wäre, hätte ich 74 000 liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger mehr an meiner Seite, denen ich auch einige Vorzüge der Innovation City mit anbieten könnte. Außerdem hätte ich sofort zu Beginn meiner Amtszeit eine Änderung des Namens „Glabotki“ angestoßen.“ Davon ab pflegten die beiden Städte heute ein gutes Miteinander. So beispielsweise beim schon angesprochenen Thema Innovation City, an dem sich Gladbeck ja auch beteiligen wolle. Auch bei der Ikea-Ansiedlung sei Gladbeck und deren Planer von Anfang an mit im Boot gewesen und man habe das Projekt gemeinsam realisiert.

Von Gladbeck hätte ich gerne. . . das schöne Wasserschloss Wittringen.

Ulrich Roland, BM Gladbeck: „Damit muss ich mich glücklicherweise nicht beschäftigen, da 1975 eine weise Entscheidung getroffen wurde. Heute pflegen wir ein sehr enges und gutes Miteinander. Dieses gute Verhältnis der beiden Städte hat sich sowohl in der Entscheidung für die geplante IKEA-Ansiedlung gezeigt, an der wir beteiligt waren.

Ebenso haben Bottrop und Gladbeck in der jetzt zustande gekommenen Lösung für den Ausbau der B 224 zur A 52 an einem Strang gezogen. Und wenn ab 2016 das Projekt Innovation City ausgerollt wird, wollen wir von Anfang an dabei sein!“

Von Bottrop hätte ich gerne . . . das schöne Schloss Beck in Feldhausen, das ja kurz hinter unserer Stadtgrenze liegt.

Der Name „Wittringen“ galt als Alternative 

Vor 40 Jahren war die Atmosphäre aufgeheizt. Die Fronten verliefen quer durch die Parteien, schließlich gab es in allen drei beteiligten Gemeinden Befürworter und Gegner. Was sagen Akteure von damals zur Situation heute?

Klaus Strehl
Klaus Strehl © Fremdbild

Der Bottroper

Bottrops Bürgermeister Klaus Strehl hat seine kommunalpolitische Laufbahn 1975 im Rat der damals neuen Stadt Bottrop begonnen. Dort war er stellvertretender Fraktionsvorsitzender der SPD. Er erinnert sich an die schwierigen Debatten dieser elf Glabotki-Monate. Intern habe man nach Kompromissen gesucht, etwa bei der symbolträchtigen Frage nach dem Namen. Als Name für das Gesamtkonstrukt, der schnell verworfen wurde, war auch Kirchhellen im Gespräch, das als kleinster Partner dabei war. Ein ganz neuer Name für die Stadt hätte Wittringen sein können. „Über diesen Kompromiss haben wir beraten, aber nach außen hin musste ja jeder seine Herkunftsstadt vertreten“, erinnert sich Strehl an einen Geburtsfehler. Davon ab, dass ein Zusammenschluss unter Zwang nicht funktionieren konnte. Deshalb sei die Variante des freiwilligen Zusammenschlusses per Gebietsänderungsvertrag, die Bottrop und Kirchhellen am Ende gewählt hätten, die bessere gewesen.

Wolfgang Röken
Wolfgang Röken © WAZ FotoPool

Der Gladbecker

Für Gladbecks Alt-OB Wolfgang Röken (SPD), der gegen Glabotki kämpfte und dessen politische Karriere mit der ersten Kommunalwahl nach der Glabotki-Zeit im Oktober 1976 begann (er wurde OB), ist sicher, dass Gladbeck nach dem Glabotki-Intermezzo eine Blütephase in der Stadtentwicklung erlebte. „Es kam eine neue Phase der Entfaltung, und ein erheblicher Teil wäre sicher mit Bottrop auf der Strecke geblieben.“ Röken denkt an Dinge wie das Kulturzentrum mit der Stadthalle, das Schulzentrum Brauck, das Bürgerhaus Ost, das City-Center (mit der gesamten Innenstadtsanierung),die Awo-Zentren Brauck und Zweckel oder die Stadtgarten-Projekte. „Das gäbe es nicht in Groß-Bottrop, denn Zusammenschließen heißt nicht automatisch wohlhabender zu sein.“ Aber auch Dinge ganz nah am Bürger wie den Seniorenbeirat, die Musikschule oder das Appeltatenfest kann sich Röken ohne die Selbstständigkeit nicht vorstellen. „Gladbeck wäre nicht so eine liebens- und lebenswerte Stadt wie heute.“

Ferdi Butenweg
Ferdi Butenweg © WAZ FotoPool

Der Kirchhellener

Ferdi Butenweg, der die Glabotki-Zeit als Vorsitzender der Jungen Union in Kirchhellen miterlebt hat, glaubt, dass am Ende für Kirchhellen die beste Lösung gefunden worden sei. „Trifft man heute auf Gladbecker Parteifreunde sagen die einem auch schon mal, dass wir es besser getroffen hätten. Wobei das ja nicht abzusehen war.“ Zumal auch in Kirchhellen das Nikolaus-Urteil zunächst gefeiert wurde. Erst später sei nach und nach klar geworden, dass es auch nach dem Urteil nicht auf die Selbstständigkeit hinauslief, im Gegenteil sogar die Aufspaltung Kirchhellens drohte. Demnach hätte ein Teil mit Gladbeck zum Kreis oder nach Gelsenkirchen kommen können, der andere mit Bottrop zu Essen oder Oberhausen. Darauf folgten Verhandlungen mit Bottrop und der Zusammenschluss über den Gebietsänderungsvertrag.