„Der Mensch ist ein Abgrund: Es schwindelt einen, wenn man hinabsieht“, sagt Woyzeck in Georg Büchners gleichnamigen Dramenfragment von 1836. Gut 50 Jahre später blickt Émile Zola mit dem Roman „Bestie Mensch“ in schaurige Untiefen. Dieses Werk, von Bühne Cipolla&Metropol-Ensemble in eine komprimierte Fassung gegossen, hat im Kammerkonzertsaal den Figurentheatertagen ein eindrucksvolles Finale beschert.
Zola gilt als einer der bedeutendsten Chronisten der französischen Gesellschaft im 19. Jahrhundert. „Bestie Mensch“ ist eine Dreiecksgeschichte, die im Eisenbahnermilieu spielt. Intensiv zeichnet er den Stationsbeamten Roubaud, seine junge Frau Severine und den Lokführer Jacques. Dies in schärfstem Kontrast zur karikaturhaften Darstellung der Obrigkeit. Der Roman thematisiert zudem die Zweifel am technischen Fortschritt. Über allem indes schwebt das Damoklesschwert der schwarzen Gedanken, die Tod und Leere bringen.
Sebastian Kautz ist auf der Bühne des August-Everding-Kulturzentrums der Mann der Puppen. Agieren lässt er sie auf einem kleinen Archipel mit Schienen, einer Lore als Lokomotive und einem halbhohen Gerüst. Die Figuren, die Melanie Kuhl gefertigt hat, sind teils treffliche Charaktere, teils von aufregender Schönheit.
Es geht um Mord
Da ist Roubaud, ein knorriger, mürrischer, aufbrausender Alter mit schwarzem Vollbart und Kraushaar. Seine Frau Severine hingegen, mit den hohen Wangenknochen, dem schönen Kleid sowie der sanften Stimme, ist von aristokratischer Anmutung. Und es ist gewiss kein Zufall, dass Lokführer Jacques, der ihr Geliebter wird, mit blondem Wuschelhaar und schickem Wams, beinahe wie ihr Zwilling wirkt.
Nun wird hier nicht allein eine Liebesgeschichte verhandelt. Es geht um Mord. Roubaud beschließt, den Vormund seiner Gattin zu meucheln, der sie einst geschändet hatte. Severine muss helfen. Jacques wiederum wird Zeuge der Tat, schweigt aber, um der Liebe zu der jungen Frau willen. Als sie beschließt, den lästigen Ehemann zu beseitigen, befallen Jacques, das Messer schon in der Hand, Skrupel.
Zu den dunklen Stimmungsbildern lässt Gero John sanfte Cellolinien aufklingen, dann wieder tönt die Musik im Rhythmus einer Lokomotive. Beim Auftritt des Untersuchungsrichters, ein obrigkeitshöriger Dandy, und seines Vorgesetzten, ein Dicker mit Staatsperücke, belebt sich die Szenerie. Doch am Ende stirbt Severine in einer Umarmung durch das Messer des Geliebten. Und der rast mit seiner Lok ins Verderben.
Viel Applaus für ein aufwühlendes Stück.