Bottrop. Neville Tranter zeigte im Kulturzentrum das Stück „Mathilde“. Der gefeierte Australier mit seinen „Stuffed Puppets“ gilt als kritischer Kopf. Er stellte es einmal mehr unter Beweis.

. Seit seinen Anfängen in den 1970er Jahren gilt Neville Tranter als Institution im Genre des Puppentheaters. Seine Stücke atmen Poesie, sind zugleich schonungslos realistisch. Sie nähern sich bisweilen der Groteske, streifen den Zynismus, alles verwoben aber mit feiner Melancholie. Vieles davon findet sich in „Mathilde“.

Es sind Episoden aus dem Alltag eines Seniorenheims, die uns der Australier Tranter mit seinen Stuffed Puppet bei den Figurentheatertagen zeigt. Die Vorstellung am Donnerstagabend im Kulturzentrum August Everding ist nahezu ausverkauft. Anfangs noch, ob der skurrilen Typologie, die die Szene beherrscht, gluckst das Publikum in sich hinein. Bald jedoch herrscht absolute Stille. Denn das Stück ist in seinem Kern tottraurig.

Ausdifferenzierte Gestik

Tranter, der mit Gastspielen in Bottrop schon einige Male für Furore sorgte, ist ein kritischer Kopf. In „Mathilde“ ist das Heim mit dem schmucken Namen „Casa verde“ die Hölle. Anfangs blickt uns ein Greis ganz in Schwarz an, die Lebensfurchen im Gesicht, ein paar längliche Zottelhaare am Kinn, wenige andere auf dem Kopf. Wie ein Kind hat er stets einen Stofflöwen bei sich und sagt „Open the door, please“.

Dieser Satz hat Symbolcharakter. Nein, er wolle nicht hier eingesperrt sterben. Ein anderer mit rotem Haarkranz, der heimlich ein Handy eingeschmuggelt hat, ein noch sehr aufgeweckter Typ, ruft die Presse an: Der neue Direktor sei furchtbar. Was sich alsbald bestätigt. Der Chef und sein bester Freund, der Totengräber, erweisen sich als zynische Ekelpakete im Umgang mit den Alten. Sie geraten indes in helle Panik, als in Folge des Anrufs ein Journalist die Insassen sprechen will.

Drei Elemente

Es sind wohl hauptsächlich drei Elemente, die Neville Tranters Puppenspiel zu einem Ereignis machen. Zuerst seien die im Vergleich zum Rumpf überdimensionierten Köpfe genannt, die so detailgenau gearbeitet sind, dass sie als Menschen wie Du und Ich erscheinen. Hinzu kommt eine äußerst ausdifferenziert Gestik und Mimik. Und schließlich: Tranter steht mit diesen Handpuppen auf der Bühne, erweckt sie sprechend zum Leben – und schafft es gleichwohl, sich selbst völlig auszublenden. Sein Assistent, Wim Sitvast, ist dabei ein behutsamer Mitspieler.

Umso mehr schiebt sich im Laufe des Stücks nach den ersten so erschreckenden wie zynischen Szenen Mathilde in den Vordergrund. Die an einem Reck hängt und schnarcht. Die im Traum brabbelt und von ihrem Geliebten spricht, von Jean-Michel, der ihr versprach, nach dem Krieg zu ihr zurückzukommen.

Ein Höhepunkt

Mathilde wartet noch immer, heute wird sie 102. Sie erwacht, erzählt, und wartet. Dabei flucht sie („Diese verdammten Schwestern“), sagt, sie sei noch lange nicht tot, und sie werde es allen zeigen. Mathilde zieht sich am Reck hoch, keucht, stöhnt und japst – eins, zwei, drei. Dann kommt erneut der Schlaf. Am Ende stehen Verklärung und Tod – die Alte imaginiert einen letzten Tanz mit ihrem Jean-Michel, zur dunkel getönten Liszt-Musik, dann stirbt sie.

Dem Stück, in leicht verständlichem Englisch aufgeführt, mag wegen seiner deutlich zweigeteilten Dramaturgie der große Bogen fehlen. Doch es geht an die Nieren. Neville Tranter hat den Figurentheatertagen erneut einen Höhepunkt beschert.