Bottrop. . Verfolgungsjagd, „Verhaftung“, Star in einem Polizeivideo. Das Eichhörnchen von der Eichenstraße hat Aufregendes erlebt. Jetzt wird es aufgepäppelt.
„Eichhörnchen verfolgt Frau“, oder „Eichhörnchen in Bottrop verhaftet“: Polly wird quasi über Nacht weltberühmt. Die Telefonzentrale der Polizei Recklinghausen wird gleichsam überflutet mit Anrufen aus ganz Deutschland.
Freunde der kleinen, zierlichen Nager wie Stefanie Hanau vom Eichhörnchen Notruf e.V. zeigen sich erfreut. Sie hat den Notruf der Polizei entgegengenommen. „Der war an sich nichts besonderes“, erklärt sie. Eine junge Bottroperin wird von einem jungen Eichhörnchen verfolgt und bittet die Polizei, sich des Tieres anzunehmen. Ein alltägliches Phänomen, sagt Hanau. „Anrufe wie dieser erreichen uns von Feuerwehr und Polizei täglich fünf bis zehn Mal“.
Verwaiste und dadurch vollkommen geschwächte Eichhörnchenkinder fallen oft aus ihrem Kobel, wie das Nest im Fachjargon heißt. Alleine seien sie nicht in der Lage, feste Nahrung aufzunehmen, unterkühlen schnell und hungern aus.
„Sie möchten gerettet und versorgt werden“
„Sie suchen dann aus Verzweiflung Hilfe und Schutz bei den Menschen und versuchen sich festzuklammern“, sagt Stefanie Hanau. Jedes Jahr weisen Tierschützer darauf hin, dass junge Eichhörnchen, die sich so verhalten nicht tollwütig oder krank seien, sondern lediglich Hilfe suchten. „Sie möchten gerettet und versorgt werden“. Durch die überraschend große Präsenz in den Medien erfahren viele Menschen von der Situation und können entsprechend handeln.
„Die Dame, die Opfer der Verfolgung durch das in Not geratene Tier geworden ist, hat dem Tier durch ihren Anruf das Leben gerettet“, heißt es in einer Stellungnahme des „Eichhörnchen Notruf“.
Aufenthalt in Quarantäne
Dem kleinen Eichhörnchenmädchen, das an der Eichenstraße (!) unterwegs war, geht es den Umständen entsprechend gut. Mit starken neurologischen Problemen ist es bei Claudia Schäfer angekommen und wurde sofort versorgt. In ihrer Auffangstation in Dorsten lebt Polly zurzeit unter Quarantäne und hat bereits zugenommen.
„Sie zeigte leichte Anzeichen einer Vergiftung, möglicher Weise durch Dünger“, so die Mitarbeiterin vom „Eichhörnchen Notruf“. „Dehydriert war sie jedoch nicht - was wohl der Verpflegung durch die Polizisten zu verdanken ist“, freut sich Schäfer.
Polly - ein „Streifen“hörnchen
Sie kümmert sich jedes Jahr ehrenamtlich um etwa 30 bis 40 Tiere. Als eine von fünf Vorständen des „Eichhörnchen Notruf“ ist sie bei Tierheimen und -ärzten bekannt. Der Verein ist in ganz Deutschland aktiv und verfügt über ein bundesweites Netzwerk von Ansprechpartnern und Auffangstationen. Von den insgesamt 150 spezialisierten Stationen des Vereins war die Dorstener die nächstgelegene noch freie Unterkunft.
Manch ein Facebook-Benutzer sieht Polly mittlerweile jedoch ganz woanders. „Diensttauglich! Polly - ein Streifenhörnchen“, heißt es da scherzhaft.
Das Eichhörnchen wurde in kürzester Zeit zum Medienstar
Das Medienecho auf das Bottroper Eichhörnchen war gewaltig. Die Süddeutsche Zeitung, die Frankfurter Rundschau, selbstverständlich auch die Bild sowie verschiedene Radio- und Fernsehsender berichteten über den skurrilen Fall aus Bottrop und den Einsatz der Polizisten. Doch nicht nur national schlug die Geschichte über das hilflose Tier Wellen, auch international tauchte sie auf. Englischsprachige Nachrichtenseiten übernahmen das Thema wie etwa der „Telegraph“ aus England oder die „Irish Times“. Auch US-Seiten wie „NBC-News“ oder gar die Times India berichteten über Polly. Das mag sicher auch mit dem sprichwörtlichen Sommerloch zusammenhängen, vor allem aber mit der sympathischen Reaktion der Polizei und dem Tier an sich.
„Einen Tag lang stand in der Pressestelle das Telefon nicht mehr still“, sagt Polizeisprecherin Ramona Hörst. „Das sich sogar ein Radiosender aus Österreich gemeldet hat, fand ich beeindruckend.“ Die Polizei selbst hat die Geschichte auf ihrer Facebook-Seite veröffentlicht, mitsamt einem kurzen Video. Dieser Beitrag habe in dem sozialen Netzwerk über eine Million Menschen erreicht, sagt Ramona Hörst.
Dabei habe die Polizei anfangs genau überlegt, ob sie die Sache eigentlich öffentlich machen solle. „Wir haben es dann gemacht, weil es eine ganz andere Seite der Polizeiarbeit zeigt.“ Neben den vielen zum Teil tragischen oder stressigen Einsätzen seien solche Fälle auch für die Kollegen „eine schöne Abwechslung, die der Seele gut tut“, sagt die Polizeisprecherin. Nur Drehanfragen von Fernsehsendern mit den Beamten, die Polly aufgepäppelt haben, habe die Polizei abgelehnt. „Die waren ja am nächsten Tag wieder ganz normal im Dienst.“
Viele positive Reaktionen
Die hilfsbereiten Polizisten aus Bottrop seien eigentlich überall gut angekommen. Es habe viele positive Rückmeldungen gegeben, „oder um in der Facebook-Sprache zu bleiben, ,Daumen hoch’“, freut sich die Polizeisprecherin über die vielen Reaktionen. Zeige es doch – genauso wie der Anruf der Frau, dass die Polizei tatsächlich als „Freund und Helfer“ wahrgenommen werde. Matthias Düngelhoff
Annette Paulsen pflegt pelzige Findelkinder in Bottrop
In Bottrop gibt es eine private Anlaufstelle für verwaiste oder hilfsbedürftige Eichhörnchen. Annette Paulsen zieht in ihrem Haus seit März 2010 Eichhörnchenkinder groß, die im Tierheim, vom Förster, oder direkt bei ihr abgegeben werden. Zurzeit leben vier Eichhörnchen bei ihr.
„Wildtiere besitzen keine Lobby“, erklärt sie. Wie es bei jeder Wildtierstation der Fall ist, macht sie ihre Arbeit ehrenamtlich. Umso wichtiger ist die Unterstützung die nicht nur von ihrer Familie, in der Töchter Lina und Carla und Ehemann Frank tatkräftig mit anpacken, sondern auch von ihren Nachbarn kommt.
Zurzeit bauen Frank Paulsen und Nachbar Volkmar Pollack an einer großen Außen- und Auswilderungsvoliere. Doch nicht alle Eichhörnchen können ausgewildert werden. „Gundel“ fiel als Baby aus der Kobel und erlitt ein Schädelhirntrauma. Seitdem kann sie die Balance nicht mehr so gut halten und verwechselt den Finger auch ab und zu mal mit einer Nuss. „Eichhörnchen sind keine Haustiere und erfordern viel Erfahrung. Sie gehören in die Freiheit- das ist unser oberstes Ziel“, betont Annette Paulsen. Die erfolgreich gepäppelten Zöglinge, die rund um die Uhr versorgt wurden, werden im naturnah gestalteten Garten in die Wildnis entlassen.
Im Bezug zu Polly erklärt Annette Paulsen: „Eichhörnchen gehören zu den wenigen Tierarten, die aktiv Hilfe bei uns Menschen suchen. Eigentlich sind sie Fluchttiere, aber in Notsituationen springen die Junghörnchen über ihren Schatten. Entgegen der weitläufigen Meinung darf man Eichhörnchen-Findelkinder anfassen. Die Mutter lehnt sie deswegen nicht ab“.