Bottrop. Thilo Rörtgen ist seit 13 Jahren Stenograf im Landtag NRW. Sein Job ist so außergewöhnlich wie bedroht – denn der Nachwuchs fehlt.
375 Silben in der Minute sind sein Rekord. Wenn sich der Düsseldorfer Landtag versammelt, hält Thilo Rörtgen jedes Wort auf Papier fest. Der Bottroper ist hauptberuflicher Schnellschreiber. Mit der Stenografie hat er jedoch nicht das sprichwörtliche Hobby zum Beruf gemacht; angefangen hat alles mit einem Wunsch seines Vaters.
„Er sagte, man könnte das gut gebrauchen“, erzählt Rörtgen. Also meldete der Vater seine zwei Söhne im Bottroper Stenografenverein an. Rörtgen übte fleißig, nahm an Meisterschaften teil. Dass sein Vater recht haben würde, zeigte sich aber erst viele Jahre später.
1998 begann die Karriere als Stenograf
Rörtgen machte eine Ausbildung zum Elektriker, absolvierte sein Fachabi, schloss sein Diplom als Elektrotechniker ab. Die Kurzschrift fand bei ihm in all den Jahren nur wenig Anwendung, „beim Schreiben vom Einkaufszettel vielleicht“, scherzt er. Ansonsten: Rörtgen konnte in der Fachhochschule schneller mitschreiben als seine Kommilitonen. „Aber bei den vielen Formeln hat das nicht so viel gebracht.“ Zwar gibt es auch eine Stenografie für Zahlen, aber eben keine für Rechenzeichen.
Die Kurzschrift gab Rörtgen trotzdem nicht auf. „Wenn man etwas richtig gut kann, macht es automatisch Spaß“, begründet er seine nicht schwindende Motivation. Doch dann, 1998, zahlte es sich auch über Schnellschreibwettbewerbe hinaus aus, dass der heute 44-Jährige an der Stenografie festgehalten hatte. „Ende der Neunziger sah es für Ingenieure nicht gut aus.“ In Hannover aber war 1998 eine Ausbildungsstelle als Parlaments-Stenograf frei. Rörtgens Karriere als Stenograf begann. Drei Jahre später tat es ihm sein Bruder gleich und wurde Protokollant im Bundestag.
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Heute lebt Rörtgen wieder in Bottrop. Seit 13 Jahren arbeitet er im Landtag NRW. Wenn die Ausschüsse tagen, schreibt Rörtgen fleißig mit und lässt nebenbei ein Diktiergerät laufen. Aus seinem Stenogramm und den Tonaufnahmen macht er dann eine Zusammenfassung, die er jedoch nicht selbst abtippt, sondern als Tonaufnahme einer Schreibkraft übergibt.
Anders läuft es, wenn Rörtgen im Plenum sitzt. Dann arbeitet er mit zwölf anderen Stenografen zusammen. Jeder von ihnen protokolliert abwechselnd siebeneinhalb Minuten und geht dann direkt ins Büro, um seinen Teil auszuarbeiten. Die Vollversammlung tagt oft zwölf Stunden, jeder Stenograf ist etwa sechsmal an der Reihe. Warum die Aufteilung? „Das Protokoll muss abends fertig sein“, sagt Rörtgen.
Von einem solchen ambitionierten Anspruch werden sich aber bald einige Parlamente verabschieden müssen, glaubt er. Denn es fehle der Stenografen-Nachwuchs. Den Job müssten bald Tonband-Redakteure übernehmen, die für die Ausarbeitung länger bräuchten. Auch der Bottroper Stenografenverein könne kaum Kurse anbieten, weil die Nachfrage fehle. Dazu bedroht möglicherweise die stetig reifende Spracherkennungstechnik den Beruf.
Sorgen macht sich Rörtgen aber nicht, er hat gut vorgesorgt – nicht nur mit Ausbildung und Diplom, nebenbei hat er kürzlich einen Master in Jura abgeschlossen.