Bottrop.

Breite Kotflügel, barocke Formen, Sitze weich wie Cocktailsessel oder die schlank-schnittige Linienführung und „Schlafaugen“ der Sportwagen der späten Sixties und frühen Seventies: Wer „Oldtimer“ hört, hat fast automatisch diese Bilder im Kopf. Man muss sich umstellen.

Mit der neuen Generation „Oldtimer“ - mit vollendetem 30. Lebenjahr trifft das jedenfalls für ein Auto zu - ändert sich die Ästhetik der Wahrnehmung. Denn Hand aufs Herz: Die Alltagswagen der 80er Jahre lösen eben noch nicht das wahre Nostalgie-Gefühl aus.

Komplett original erhalten

Bottrop hat jetzt mit einem anthrazitgrauen Mercedes-Benz von 1985 den ersten Wagen der Baureihe W 124 in die Oldie-Riege aufgenommen. „Das hat mir die Mitarbeiterin des Straßenverkehrsamtes ausdrücklich gesagt, als ich mein neues H-Kennzeichen abholte“, sagt Werner Berkemeyer. Damit gehört der frischgebackene Bottroper Oldie-Besitzer zum exklusiven Zirkel der 538. Denn so viele H-Zulassungen gibt es in der Stadt. Gar nicht so übel, wenn man bedenkt, dass das viel größere Essen etwa über 1900 Oldtimer verfügt.

Die Baureihe 124, die 1984 vorgestellt wurde, gehört über ein Jahrzehnt zu den beliebten Modellen der Stuttgarter Autoschmiede. Vielleicht nicht sterneverdächtig, aber grundsolide, zuverlässig und von beinahe zeitlos-klarer Anmutung. Alles wirkt glatter, flächiger, als bei der Vorgängerreihe W123. Der Kühlergrill nimmt sich mehr zurück, der Wagen wirkt weniger filigran, als seine Vorgänger. Deutet sich das Bullige der aktuellen, ästhetisch zweifelhaften Formen bereits an? Die Meinungen gehen auseinander.

Werner Berkemeyers junger Oldtimer ist komplett original erhalten. „Lediglich einen geregelten Katalysator haben meine Eltern einbauen lassen, nachdem sie den Wagen 1985 als Jahreswagen gekauft hatten“, sagt der Bottroper.

Nach 149 000 Kilometern hat der Wagen noch den ersten Motor, das erste Automatikgetriebe. Mit seinen 4 Zylindern und 109 PS war der 200er gleichsam das Einstiegsmodell der Baureihe, die es bis zur Einstellung der Reihe 1995 auch in die 8-Zylinder-Region schaffte und sogar als Langversion erhältlich war.

Werner Berkemeyer hat seinen W124 vor zwei Jahren von seiner Mutter übernommen. „Auch nach mehrmonatigem Stillstand sprang er sofort an, absolut zuverlässig.“ Nun fährt er ihn als Zweitwagen und will das gute Stück mit seiner immer noch fast makellosen hellen Stoffausstattung langsam grundüberholen lassen. Einen „Schrauber“ hat er schon in Grafenwald ausfindig gemacht. „Der hat Erfahrung im Restaurieren von Oldtimern“, sagt Berkemeyer. „Und vielleicht sieht der Wagen einmal wieder so aus, wie er 1985 zu uns kam.“

Bestimmt ist er W124 dann so kultig, wie die Autos der Seventies. Noch betrachten wir die 80er mit ästhetisch gemischten Gefühlen. Die voluminösen, dauergewellten Frisuren und wattierten Schultern der Mütter meiner Klassenkameraden, die Väter mit Bundfaltenhosen und weiten Hemden, die diese Wagen einst fuhren, wünschen wir uns in diesem Outfit ebensowenig zurück, wie braune Fliesen und wuchtige Schrankwände im Haus.