NRW-Wissenschaftsministerin Svenja Schulze zeichnet das integrative Wohnprojekt „Claudius-Höfe“ aus als „Ort des Fortschritts“


Mitte. Das Lebens- und Arbeitsprinzip, das dem Wohnprojekt Claudius-Höfe zugrunde liegt, ist nicht nur in Bochum einmalig. Für das NRW-Wissenschaftsministerium Anlass, die Auszeichnung „Ort des Fortschritts“ zu verleihen.

Im Herbst letzten Jahres zogen die ersten Mieter in die Claudius-Höfe ein; jenem integrativen Projekt in der Innenstadt, das generationsübergreifend eine andere Wohnform bedeutet. Rund sechs Jahre Vorbereitungszeit lagen da schon hinter denen, die es gestemmt haben. Drei Jahre dauerte die Suche nach einem Baugrundstück, bis ein holländischer Investor von seinen Plänen für das ehemalige USB-Grundstück, 10 000 Quadratmeter groß, zwischen Mauritius- und Düppelstraße abrückte.

Der LWL Westfalen-Lippe hatte das Projekt beim Wissenschaftsministerium für die Auszeichnung vorgeschlagen. Ministerin Svenja Schulze: „Hier wurden Lösungen für gesellschaftliche Herausforderungen gefunden, wie den demografischen Wandel. Zur Nachahmung ausdrücklich empfohlen.“ Die Auszeichnung solle bewirken, dass Pioniere wie die Claudius-Höfe bekannter würden.

Der Innovationsbegriff werde neu definiert; gemeint sei ein qualitativer Fortschritt für Menschen, vor allem auf sozialem Sektor, um Probleme zu meistern. „Hier kann man sehen, dass echte Teilhabe funktionieren kann. Das hier ist gelebte Inklusion.“

Alles fing an mit Eltern von Matthias-Claudius-Schülern – vornehmlich jungen Leuten mit Down-Syndrom – die für ihre erwachsenen Kinder eine Bleibe suchten. Daraus entstand die Idee, Menschen mit und ohne Handicap, Familien, Singles, Rentner und Migranten zu einer Nachbarschaft zusammenzubringen. Willi Gründer, Vorsitzender des Bauherrn Claudius-Stiftung: „Nicht alle passten sofort zusammen, einige zogen auch wieder aus. Doch die Gemeinschaft, die wir jetzt haben, die funktioniert bestens.“ Und zwar nicht nur wohnlich: Das urban verankerte Dorf komplettieren Gewerbetreibende. Dazu gehören auf dem Marktplatz ein Café und Restaurant, zudem ein Fahrradshop, eine Wäscherei, ein Ruhrgebiets-Magazin, Friseur, Pflegedienst und ein kleines Hotel.

Eine Fluktuation gibt es unter den Mietern nicht mehr. Sie alle ließen sich bewusst auf dieses Modell ein. Wie die Eheleute Christel und Heinz-Dieter Hartwich, die ihr Eigenheim verkauften, um in die Claudius-Höfe einzuziehen.

Die äußerst launige Festrede hielt Henning Scherf; der frühere Oberbürgermeister Bremens lebt seit 26 Jahren mit seiner Frau Luise in einem Gemeinschafts-Wohnprojekt. „Ich bin tags zuvor angereist, habe hier im Claudius-Hotel übernachtet. Alles ist behindertengerecht. Eine so große Nasszelle hatte ich noch nie – wow.“ Scherf ließ sich mitreißen, jubelte: „Das hier ist die Zukunft, nicht nur eine nette Idee. So stelle ich mir Stadterneuerung vor.“