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Vor fast einem Jahr zogen die ersten Mieter in die Claudius-Höfe ein; jenem integrativen Projekt in der Innenstadt, das generationsübergreifend eine andere Wohnform bedeutet. Rund sechs Jahre Vorbereitungszeit lagen da schon hinter denen, die es gestemmt haben: Die Matthias-Claudius-Stiftung ist Bauherr, Birgit Pohlmann unterstützte als Moderatorin die Projektidee. Ihrer Aufgabe war es, die heterogene Gruppe zu harmonisieren. Doch sind es die inzwischen 180 Bewohner, die das „Dorf“ in zentraler Lage entstehen ließen.

Als Christel und Heinz-Dieter Hartwich einzogen, waren die meisten Häuser noch Baustellen. „Fast täglich kamen neue Umzugswagen, wir erlebten die Entwicklung hautnah.“ Das Ehepaar hat sein Eigenheim verkauft, um in die Claudius-Höfe einzuziehen. „Das haben wir nie bereut; was uns anzog, war diese besondere Form der Gemeinschaft, die hier gelebt wird“, sagt Christel Hartwich. Alle kannten einander, als sie einzogen. Nach und nach sind auch Freundschaften entstanden. „Es ist tatsächlich eine Gemeinschaft, wie man sie sonst nicht findet.“

Alles fing an mit Eltern von Matthias-Claudius-Schülern – vornehmlich jungen Leuten mit Down-Syndrom – die für ihre Kinder eine Bleibe suchten. Daraus entstand die Idee, Menschen mit und ohne Handicap, Familien, Singles, Rentner und Migranten zu einer Nachbarschaft zusammenzubringen. Und zwar nicht nur wohnlich: Das urban verankerte Dorf komplettieren Gewerbetreibende. Dazu gehören auf dem Marktplatz Café und Restaurant, zudem ein Fahrradshop für Elektro-Räder, Ruhrgebiets-Magazin, Friseur, Pflegedienst und ein Hotel.

Philipp Rademacher ist Rollstuhlfahrer und lebt als einer von 16 jungen Erwachsenen in Wohngemeinschaften, die das Johanneswerk betreut. Vier davon gibt es. Er bestätigt das Gemeinschaftsgefühl, das sein Nachbar Hartwich schildert: „Ich habe vorher im Studentenwohnheim gelebt. Da hat man seine Nachbarn mit viel Glück alle paar Wochen mal zu Gesicht bekommen. Diese inzwischen wohl normale Anonymität haben wir hier ganz und gar nicht.“

Dafür sorgen schon allein die Arbeitsgruppen und Interessengemeinschaften, in denen sich die Mieter zusammenfinden. Detlef Bremkens ist Pressesprecher der Hochschule Bochum und ebenso begeisterter Bewohner der Claudius-Höfe: „Wir haben den Bewohnerrat, einen Stammtisch, eine Car-Sharing-Gruppe, einen Chor und den Kunst- und Kulturverein. Zudem wird es im nächsten Jahr ein Theaterprojekt mit dem Jungen Schauspielhaus geben.“

Eine Fluktuation gibt es unter den Mietern übrigens nicht. „Wegziehen will hier keiner. Deshalb haben wir auch keine Wartelisten mehr“, erklärt Willi Gründer, Vorsitzender des Matthias-Claudius-Sozialwerks.

Die Grundstückssuche begann schon vor vielen Jahren. „Damals bevorzugten viele noch eine Fläche im Grünen. Dass wir dann so mitten in der Stadt landen würden, war zunächst völlig abwegig.“ Drei Jahre dauerte die Suche, bis ein holländischer Investor von seinen Plänen für das ehemalige USB-Grundstück zwischen Mauritius- und Düppelstraße abrückte. Gründer: „Das 10 000 Quadratmeter große Gelände war ideal für unsere Zwecke.“

Am kommenden Samstag, 7. September, wird das Einweihungsfest gefeiert. Los geht es ab 11 Uhr. Die Bewohner wollen sich damit im Quartier präsentieren, haben ein Bühnenprogramm auf die Beine gestellt und sorgen auch für die Verpflegung der Gäste. Christel Hartwich: „Ein paar Nachbarn werden Obst in ihrem Schrebergarten pflücken. Das kochen wir für Marmelade ein.“