Hofstede. . Erzählcafé im Johanneshaus mit Zeitzeugen der NS-Zeit. Hans Pirnays einschneidendes Erlebnis mit einem KZ-Gefangenen.

Sie sagten, sie gewinnen den Krieg. Sie sprachen von der Wunderwaffe und anderem Unsinn. Doch die Rote Armee kam und Hans Pirnay musste fliehen aus Schlesien. An irgendeinem Bahnhof hielt sein Zug – gegenüber ein Wagen voll ausgemergelter Gestalten. Durch dünne Schlitze im Waggon konnte er sie sehen. Ihr Weg führte ins Konzentrationslager, sein Weg (das wusste er damals noch nicht) erst in die Zwangsarbeit, dann in die Freiheit. Ein Gefangener hielt eine Schale hinaus, um trinkbares Regenwasser zu sammeln, erinnert sich Pirnay. Doch sie fiel dem Gefangenen aus den Händen.

Wenn Hans Pirnay erzählt, bleibt er ehrlich: „Wir waren begeistert von Hitler“. Auch die Hitlerjugend: in den Augen eines naiven Jugendlichen eine schöne Zeit. Es war dieser bitterkalte Tag im Januar des Jahres 1945, irgendwo zwischen Polen und Bayern, als er das Grauen begriff.

Für Horst Spiekermann, der die Zeitzeugen vermittelte, kommt es genau darauf an: schonungslose Ehrlichkeit. „Was die Alten erzählen können, steht in keinem Buch.“ Im Johanneshaus, wo das Zeitzeugen-Café stattfindet, sprechen Hans Pirnay und Rudi Flix von ihren Erlebnissen in der NS-Zeit.

Gekommen sind auch Frauen wie Lore Berender, Jahrgang 1945. Wieso? „Die Nazi-Zeit war bei uns, wie in vielen Familien, immer tabu“, erklärt sie. Auch Klix’ Sohn fragte immer wieder: „Warum habt ihr euch nicht gewehrt?“

„In jedem Haus waren doch ein oder zwei Nazis“, sagt der 90-jährige heute. Und Politik kam in seiner Berliner Arbeiterfamilie sowieso nicht auf den Tisch. Eingeschult wurde er 1933 – das Jahr, in dem die Deutschen die NSDAP zur Regierungspartei wählten. An Judenhass in der Schule erinnert er sich nicht, nur an germanische Göttersagen seines Religionslehrers, über die er heute nur spotten kann.

Besucher Wolfgang Dominik hakt ein: „Ich weiß von meinen Eltern: Alle wussten Bescheid, nur keiner wollte es wissen.“ Briefe von Soldaten und Polizisten, die Juden, Homosexuelle und „Asoziale“ erschossen, bezeugen dies. Weder Klix noch Pirnay streiten das ab: Jeder wusste von den Konzentrationslagern. „Aber wer einmal im KZ war, kam nicht mehr raus – und konnte auch nichts erzählen“, so Klix.

Ob und wie man mit Zeitzeugen über solche Fragen debattiert – eine schwierige Frage. Aber klar ist: Bald wird es nicht mehr möglich sein.

Pirnay hat sich damals übrigens entschlossen, dem Deportierten im Waggon zum KZ die verlorene Wasserschale zu reichen. Ein SS-Mann hat das zuerst mit gezücktem Gewehr verhindert. Aber dann ist es Pirnay doch gelungen. Er erzählt sanft und ohne Pathos. „Den Blick des Gefangenen werde ich niemals vergessen.“

Projekt wird im nächsten Jahr fortgesetzt

Das Zeitzeugen-Café ist ein Projekt der Stadtteil-Initiative HaRiHo. Normalerweise besuchen die Zeitzeugen Schulen, am Samstag im Johanneshaus hatte jeder die Möglichkeit, mit den Zeitzeugen zu sprechen. Das Projekt wird 2017 fortgesetzt.

Die Aufarbeitung des NS-Horrors, insbesondere des Holocaust, ist auch an Universitäten ein Thema, zum Beispiel an der Ruhr-Universität. Das allmähliche Schwinden der Zeitzeugen ist allerdings auch für Forscher problematisch.