Mitte. Bochumer Bücher-Bord: Ein Abend über das Schicksal der Juden und Armenier im letzten Jahrhundert und über das der Flüchtlinge heute in Bochum.


Es sind besondere Zeiten, wenn ein literarischer Abend über Terror, Tod und Vertreibung im vorigen Jahrhundert auf einem Bochumer Spielplatz im Hier und Jetzt eine Anknüpfung findet. „Ich habe mich die ganze Zeit gefragt, wie aktuell das ist, was wir heute Abend über die Juden in Deutschland und die Armenier im Osmanischen Reich gehört haben, und über die Menschen, die damals wegschauten“, sagt Hans Hanke, SPD-Ratsmitglied.

Er erzählt von einer Kletter-Lokomotive auf der Schmechtingwiese, die von Jugendlichen kürzlich neu bemalt und mit dem Schriftzug „Refugees welcome“ (Flüchtlinge willkommen) versehen wurde. „Schauen wir heute auch weg, wenn wir die Bilder aus dem Mittelmeer sehen? Terrorisieren wir die Flüchtlinge, die hier ankommen, mit unserer Bürokratie?“

Die Literarische Gesellschaft Bochum hatte zum bereits fünften Mal zu einem Bochumer BücherBord eingeladen, das dieses Mal in Kooperation mit dem SPD-Bundestagsabgeordneten Axel Schäfer im Fritz-Husemann-Haus im Ehrenfeld stattfand. „Das Herz der Literatur ist groß und es schlägt hoffentlich laut“, sagte Dr. Ralph Köhnen, Vorsitzender der Literarischen Gesellschaft Bochum. Groß und vielgestaltig waren auch die Themen und literarischen Gattungen des Abends. Terror, Tod und Vertreibung in Form von biographischen Erzählungen, historischen Dokumenten, in lyrischer Verarbeitung – und als düster-sarkastische Kurzgeschichte.

„Der Sound von Norbert Wiegelmann hat mich angesprochen“, sagt Köhnen. Trocken, alltäglich und mit einer bitteren Pointe. So gestaltet der 1956 in Bochum geborene Verwaltungsjurist seine Kurzgeschichten in dem Band „Tag des Zitronenfalters“. „Ein bisschen wie Roald Dahl“, sagt Hanke. „Die Gattung der Kurzgeschichte gehört wiederbelebt“, fordert Köhnen.

Wiederbelebt in einem ganz anderen Sinne hat Dr. Hubert Schneider, Historiker der Ruhr-Universität, die Erinnerungen von über 60 jüdischen Familien in seinem aktuellen Buch „Leben nach dem Überleben. Juden in Bochum nach 1945“. Über zwanzig Jahre lang führte er Gespräche, las Briefe, Dokumente und anderes Archivmaterial. „Nach 1945 lebten noch genau vier Juden in Bochum“, erklärt Schneider. 1932 waren es noch 1200 gewesen.

Im Osmanischen Reich erlitten vor 100 Jahren die Armenier ein ähnliches Schicksal wie die Juden in Deutschland. An diese Massaker, an Flucht und Vertreibung erinnert die Bochumer Autorin Heide Rieck. Erstmals trägt sie an diesem Abend ein Gedicht vor, das sie nach einer Baumpflanzaktion im April verfasste; die Bäume sollten ein Zeichen der Freundschaft sein zwischen Deutschen und Armeniern – auf der Schmechtingwiese, gleich neben der Kletter-Lokomotive, die vor kurzem neu bemalt wurde in Gedanken an die Flüchtlinge, die in diesen Tagen nach Bochum kommen.