Linden. . Angehörige der armenischen Diaspora gedachten der Opfer des Genozids von 1915/16 in der Lindener Christuskirche. Sie fordern dessen Anerkennung: nicht nur in der Türkei, sondern auch in Deutschland. Die türkischstämmige Politikerin Sevim Dağdelen (MdB, Die Linke) sprach sich für ein „Ende der Waffenbrüderschaft“ mit der Türkei aus.
„Das ist ein schwerer Tag für uns alle.“ 99 Jahre liegt der Völkermord der jungtürkischen Regierung des Osmanischen Reiches an den Armeniern zurück: der erste Genozid der Geschichte, der 1915 während des Ersten Weltkrieges begann. Bei der Gedenkfeier in der Lindener Christuskirche gedachten die in Bochum lebenden Armenier nicht nur der Opfer, sondern forderten vor allem eins: die bis heute ausgebliebene Anerkennung des Völkermordes.
Das Gedenken an die Opfer sei deshalb so schwer, „weil die Türkei uns bis heute die Trauer verweigert und es uns verbietet, ihrer dort zu gedenken, wo sie verstorben sind“, sagte Azat Ordukhanyan in seiner bewegenden Rede. Eine Versöhnung mit der Türkei, die den Völkermord bis heute nicht anerkennt, ist dem Vorsitzenden des Armenisch-Akademischen Vereins 1860 unmöglich. Der Genozid, den die über ganz Europa verteilte armenische Diaspora als „Aghet“ („Katastrophe“) bezeichnet, bleibe weiterhin ungestraft und ungesühnt.
Die „armenische Frage“, sie betreffe nicht allein die Armenier, die vor 99 Jahren ihre Heimat verloren, sondern vor allem die europäische Politik, so Azat Ordukhanyan. Hier sehen Rolf Schuld, Pfarrer der Christuskirche, und Linkspolitikerin Sevim Dağdelen auch Deutschland in der Pflicht, Verantwortung zu übernehmen. Dağdelen ist Mitglied des Bundestags und selbst türkischstämmig. Lange habe sie mit sich gerungen, in der Christuskirche eine Rede zu halten. Nicht weil sie Angst vor Beschimpfungen von Türken oder Rechten habe, sondern aufgrund „der großen Verantwortung“, die damit einherginge.
In ihrer Rede erläuterte sie die historischen Verbindungen des Kaiserreichs mit dem Osmanischen Reich. Ihr Fazit: Deutschland habe den Völkermord gebilligt und seine Existenz „unter den Teppich gekehrt“. Dağdelen: „Wichtig war nur die Waffenbrüderschaft mit der Türkei im Ersten Weltkrieg.“ Doch diese „Waffenbrüderschaft“ müsse heute beendet werden. Die Linkspolitikerin forderte einen Abzug der in der Türkei stationierten deutschen Bundeswehrsoldaten.
Pfarrer Rolf Schuld mahnte: „Wir müssen erkennen, wie sehr wir immer auch verflochten sind in die Schuld der Welt.“ Auf diese Erkenntnis seitens der Politik wartet Azat Ordukhanyan bislang vergeblich: „Wenn die Bundesregierung es schon nicht wagt – wann wird irgendein Bundesland endlich den Mut haben, den Völkermord anzuerkennen?“