Der wilde Rezitator hat Wirkungen bis zum Bochumer Schauspieler Claude-Oliver Rudolph ausgelöst Nikolai Kinski rezitiert den Vater im Schauspielhaus. Nun ist das Original im Kino zu erleben: als Menschensohn
Klaus Kinski hat Spuren hinterlassen. So mancher Draufgänger, der auf der Bühne oder im Film ein brachiales Image zwischen halbstark und Villon etablieren wollte, ging beim blonden Klaus (indirekt) in die Lehre. Ein Bochumer, der es mit diesem Ruf sogar bis in einen James-Bond-Film geschafft hat, allerdings nicht gerade in eine tragende Rolle, heißt Claude-Oliver Rudolph. Seine Verehrung für den schlimmen Finger Kinski ist seit jeher offensichtlich. Vor nicht langer Zeit gastierte Claude-Oliver Rudolph mit einem Kinski-Programm im Schauspielhaus. Es blieb mehr Attitüde denn archaische Kraft.
Auch Ben Becker, der sich während seines Triennale-Auftritts in der Jahrhunderthalle mit einer gewissen Rüpelhaftigkeit umgeben hat, scheint ein Vorbild in Klaus Kinski gefunden zu haben. Gefragt ist der sensible Haudrauf, ein Alex wie aus "Clockwork Orange" - allerdings weichgespült und fürs Showbusiness verwertbar.
Selbst Sohn Nikolai Kinski, der am Schauspielhaus seine Rolle in Schnitzlers "Der einsame Weg" recht passabel ablieferte, kam an einer Hommage für seinen wilden Vater nicht vorbei. Er rezitierte Kinskis frühe Lyrik, eine Melanche aus Weltzermürbung und schräg verstandenem Expressionismus. Claude-Oliver Rudolph seinerseits setzte Nikolai, der die vollen Lippen seines Vaters geerbt hat, in einem seiner Filme ein. So drehte sich also auch in Bochum in der Vergangenheit so manches um Klaus Kinski, doch bislang immer aus zweiter Hand.
Wer sich ein authentisches Bild von der Ausstrahlung Kinskis verschaffen will, sollte ins Kino "Metropolis" im Hauptbahnhof gehen (ab Donnerstag ins "Casablanca"). Dort ist die Dokumentation "Jesus Christus Erlöser" zu sehen: Kinski in Hochform - als Rezitator ebenso wie als verquälter Wüterich. Denn eines ist von Anfang an klar: Kinski meint es mit seinen Versuch, von Jesus zu reden und ihn sich bis zu einem gewissen Grad selbst anzuverwandeln, bitter ernst. Premiere hatte der von ihm selbst verfasste Text, der Jesus nicht als heilige Gestalt, sondern als Sozialrevolutionär sieht, im Jahre 1971 in der Berliner Deutschlandhalle.
Der Abend geriet zum Skandal, weil Kinski, vom Publikum provoziert und teilweise sehr unfair angegangen, los-polterte, beleidigte, beschimpfte und mehrere Male die Bühne verließ. Es war die Zeit des antiautoritären Flairs, da ging es für manche Aufmüpfige im Parkett nicht unter einen Hut, dass dort oben jemand Wasser predigte, der ansonsten Wein schlürfte, sprich: sich wohlgefüllter Bankkonten erfreute.
Klaus Kinski wäre heute in den 80ern. Weiß der Himmel, wie altersmilde er sich heute gerieren würde. Damals allerdings verströmte er eine Energie und eine verborgene Aggression - das auch! -, die so sehr faszinierte wie sie verschreckte. Mit diesem Mann ist im Zweifelsfall nicht gut Kirschen essen! Ihn umgab die Aura einer giftig schimmernden Sumpfblüte. Das Publikum liebte es, ihn zu hassen.
Doch wie er da - als selbsternannter Verkünder - das Evangelium in seinem Sinne umstrickte, das beweist noch heute eine Bühnenpräsenz, die seine mehr oder minder überzeugenden Epigonen nur in überschaubarem Maße vorweisen können. Und irgendwann werden dem heutigen Zuschauer im Kinosaal die damaligen Zwischenrufer so lästig wie Kinski selbst. Und er möchte sich den Verwünschungen anschließen, mit denen Kinski sie lautstark und erfolglos in die Schranken zu verweisen versucht. Schließlich gibt Klaus Kinski auf, er mag sich der Störer nicht mehr erwehren, und er verlässt die Bühne endgültig. Der Abspann läuft.
Wer sich als Zuschauer nun vorschnell Richtung Kinoausgang verabschiedet, hat einen berührenden Ausklang verpasst. Der Film setzt noch einmal an. Viel später: Es sind nur noch wenige Zuschauer im Saal. Kinski gesellt sich zu ihnen und dann, ruhig, konzentriert, spricht er seinen Text noch einmal - und die ungemein junge Gruppe um ihn herum hört gebannt zu - wie eine Schar von Jüngern vielleicht, könnte man denken.