Bochum. . Der Bochumer Schriftsteller Friedrich Grotjahn hat 2002 die Geschichte „Eine Gerechte“ veröffentlicht. Das Stückchen Prosa entwickelte seither ein Nachleben.
„Wenn Sie stirbt, ist die Geschichte gestorben“ hat sich der Bochumer Schriftsteller Friedrich Grotjahn gedacht. Und aufgeschrieben, was seine Stiefmutter 1943 bis 1945 erlebt hatte. Diese hatte in Sehlde ein jüdisches Mädchen in ihrem Haus versteckt bis der Krieg vorbei war. Die knapp 50-seitige Erzählung „Die Gerechte“, erstmals 2002 veröffentlicht, endete aber nicht mit dem Schlusspunkt.
Durch Zufall wurde die durch naturgemäß unscharfe Erinnerung und den Filter des Schriftstellers entstandene Prosa mit einigen harten Fakten konfrontiert. Das ändert - zum Glück - nichts am Tenor und exemplarischen Gehalt des Textes. Vielmehr bereichern die Fakten das Schreibprojekt und verleihen ihm Authentizität, auch wenn Details eben nicht stimmen.
So ist etwa das Mädchen nach dem Krieg nicht nach Israel ausgewandert, sondern mit einem Kindertransport des Roten Kreuzes in die Schweiz. Von dort gelangte sie nach Berlin, wo sie wohl noch heute lebt.
Sarah Herzberg, so ihr Name, kommt im Text in das kleine Dorf. Dort bemüht sich die Pflegemutter dem fünfjährigen, temperamentvollen Mädchen, den so verräterischen Namen abzugewöhnen. Sie heiße „Magdalene“ (im Buch, in der Realität: „Marlene“). Der kurze Erzähltext mit realem Hintergrund schildert in kurzen Schlaglichtern die Krisen, die Tragik und das schiere Unglück des Mädchens, die Zwiegespaltenheit der Mutter, die auch ihre eigenen Kinder in Gefahr brachte, und die unterschiedlichen Reaktionen im Dorf.
Das Buch wurde inzwischen in der Gedenkstätte Yad Vaschem in Jerusalem in den Bestand aufgenommen, auch in der Gedenkstätte „Stille Helden“ in Berlin wurde ein Dossier über Marianne Grotjahn angelegt. Recherchen im Dorf, in der Schweiz und in Berlin, ermöglicht durch zufällige Begegnungen mit Dritten, die das Buch lasen, beförderten viele Details, einige weitere Erinnerungen an das im Dorf unauffällige kleine Mädchen Sarah/Marlene hervor. Es gelang schließlich sogar, sie postalisch in Berlin zu erreichen. Doch das „Mädchen“ will an diese Phase ihres Lebens nicht erinnert werden. Der Brief kam ungeöffnet zurück. Ihr Wunsch, weitere Kontaktaufnahmen und Recherchen zu unterlassen, wird selbstverständlich respektiert, so Friedrich Grotjahn. Die Geschichte über Sarah/Marlene ist trotzdem gerettet. Jetzt literarisch und dokumentarisch.