„In den Jahrzehnten, die zwischen uns und den damaligen Ereignissen liegen, dehnt sich nicht einfach eine leere Zeitspanne, die erinnernd oder mithilfe von allerlei Memorabilien überbrückt werden könnte. Selbst wenn eine gleichsam magische Rückbeschwörung des Vergangenen gelänge: Wir hätten das Gefühl, als kämen wir in eine verfremdete Welt.“ Das schreibt, sehr wahr, Uwe-K. Ketelsen, emeritierter Germanistikprofessor und Chronist des Bochumer Theaters in dem Beitrag „Ein neuer Hamlet für Bochum“ in der Publikation „Zadek und Bochum – Zwischen Abenteuer und Provokation“. Diese dokumentiert die kürzlich zu Ende gegangene Ausstellung im Stadtarchiv.

Obiges Zitat bezieht sich vor allem darauf, dass die Bochumer Zadek-Zeit, 1972 bis 1977, zum Mythos geronnen ist, wieder und wieder beschworen. Ausstellung wie auch das großformatige 136-Seiten-Buch (im Klartext Verlag, 19,90 Euro) liefern dazu Material: Fotografien, Programmbücher, Poster und Plakate, Rezensionen und Berichte, Bühnenpläne und Augenzeugenberichte. Fakten zur Entzauberung des Mythos oder Belege für die Legende? Das ist dem Betrachter und Leser wohl selbst überlassen. Sehr gelungen ist in diesem Zusammenhang aber der Aufsatz von Ketelsen über die wahrlich legendär gewordene Hamlet-Inszenierung Zadeks in der Ex-Schilderfabrik Eickmeier in der Haldenstraße 45 - bekannt, ja bundesweit berühmt geworden als „Hamlet in Hamme“. Der Nicht-Augenzeuge Ketelsen beleutet akribisch belegend die Inszenierung in vilerelie Hinsicht, vergleicht reißerische Schlagzeilen („Hamlet als Blutkirmes“, Nürnberger Nachrichten, „Gemetzel mitten im Publikum“, Hamburger Abendblatt“) mit anderen Inszenierungen Zadeks oder schaut sich Zuschauerzahlen an. 10342 Besucher in 38 Vorstellungen. Die stadtverwaltung hielt etwa ein anderes Saison-Stück für prestigeträchtiger „Der Turm von Babel“ mit Maria Schell. Aber trotz aller Detailverliebtheit undviel Lakonie kommt auch Ketelsen letztlich nicht zu einem eindeutigen Ergebnis, was denn nun so neu und mythisch an Zadek war. Auch er endet: „ein weites Feld.“

Das Buch enthält ferner - neben weiterem Material - die Eröffnungsrede von Andreas Rossmann und eine Dokumentation der Zeitzeugenzeugen-Podiumsdiskussion moderiert von WAZ-Redakteur Jürgen Boebers-Süßmann. Der Mythos, er lebt.