Bochum. . Das große Unglück passierte beim Ballspielen. Der damals fünfjährige Mussa rannte gerade durch eine Hofeinfahrt in Bochum-Dahlhausen, als plötzlich ein brauner Stoffsessel auf seinen Schädel krachte und ihn zu Boden schmetterte. Nun müssen sich drei Männer und eine Frau vor Gericht wegen fahrlässiger Körperverletzung durch Unterlassen verantworten.

Das große Unglück passierte beim Ballspielen. Der damals fünfjährige Mussa sauste dabei gerade durch eine Hofeinfahrt, als plötzlich ein brauner Stoffsessel auf seinen Schädel krachte und ihn blitzartig zu Boden riss. Ein 24-jähriger Arbeiter hatte das Möbel zur Entrümpelung aus dem 11,5 Meter hohen Giebelfenster geworfen.

Mussa war am Kopf so schwer verletzt, dass mit dem Schlimmsten zu rechnen war. Der heute Sechsjährige hatte dank ärztlicher Kunst zwar überlebt, ist aber bis heute schwer gezeichnet. Der Sesselwerfer und drei weitere Angeklagte stehen seit Donnerstag vor dem Landgericht. Die Staatsanwaltschaft wirft ihnen fahrlässige Körperverletzung durch Unterlassen vor.

Damals, am 28. Mai 2013, hatte Mussa in der Hofeinfahrt mit Nachbarskindern gespielt. Direkt an einer verkehrsberuhigten Wohnstraße im Stadtteil Dahlhausen. Oben in einem Dachgeschoss war der 24-Jährige, ein Arbeiter, im Auftrag des damaligen Wohnungsinhabers (52) mit Entrümpeln beschäftigt.

In der Einfahrt hatte sich bereits ein großer Sperrhüllhaufen gebildet. Laut Anklage soll vom Wohnungsinhaber die Anweisung erfolgt sein, die unhandlichen und sperrigen Teile einfach durchs Fenster nach unten zu werfen. Das tat der 24-Jährige denn auch - genau in dem Moment, als Mussa hinter dem Ball herrannte.

Das Kind blutete nach dem Aufprall, sagte aber kein Wort mehr. Die Zunge hing heraus, das Gesicht verfärbte sich, die Atmung setzte zeitweise aus. Der Vater (37) stürzte von nebenan herbei und brachte sein Kind unter dramatischen Umständen ins Hospital. „Ich dachte, ich schaffe das nicht mit ihm“, erinnert er sich. Ein Arzt habe ihm gesagt: „Kann sein, dass er heute nicht überleben wird.“

Persönliche Aufsicht soll höchst unzureichend gewesen sein

Angeklagt sind jetzt der Sesselwerfer, sein Kollege (39), der beim Entrümpeln half, der damalige Wohnungsinhaber und dessen Ehefrau (53). Laut Anklage war der Sperrmüllhaufen in der Einfahrt gar nicht gesichert, nicht einmal durch Flatterband. Auch die persönliche Aufsicht soll höchst unzureichend gewesen sein. „Sämtliche Angeklagten verstießen objektiv gegen die Sorgfaltspflicht“, sagt Staatsanwalt Michael Nogaj.

Der mittlerweile sechs Jahre alte Mussa erschien auch kurz im Landgericht Bochum. (Foto: Stefan Arend/ WAZ FotoPool)
Der mittlerweile sechs Jahre alte Mussa erschien auch kurz im Landgericht Bochum. (Foto: Stefan Arend/ WAZ FotoPool)

Im Prozess müssen sie außer mit einer Bestrafung auch mit einer Verurteilung zu Schmerzensgeld rechnen. Mindestens 130.000 Euro wollen die Anwälte von Mussas Familie, außerdem Schadensersatz in noch unbekannter Höhe.

Mussa erschien kurz vor Gericht

Mussa lief gestern kurz im Gericht herum. Die Eltern verfolgten den Prozessauftakt als Nebenkläger. Ihre Anwältin Dr. Susanne Selter schilderte, wie schwer es Mussa auch heute noch hat trotz der Rettung vor dem damals akut drohende Tode. Vier Monate lang, anfangs im künstlichen Koma, musste das Kind stationär behandelt und mehrfach operiert werden.

Auch interessant

Es hatte Brüche des Schädels und schwere Gehirnverletzungen erlitten. Das belastet Mussa in seiner geistigen und körperlichen Entwicklung enorm, auch wenn er jetzt mit Erfolg an einer Kindergartengruppe teilnimmt. Manchmal sei er längere Zeit „abwesend“, in einem „tranceartigen Zustand“, sagt die Anwältin. Sein Leiden und die Sorge um ihn würden das ganze Familienleben durchdringen.

Die Schuldfrage ist vor Gericht heftig umstritten. Der 24-Jährige erklärte, vom damaligen Wohnungsinhaber aufgefordert worden zu sein, „die Sachen, die wir nicht rausschleppen konnten, durchs Fenster zu werfen“. Der 52-Jährige habe den unten postierten, nun ebenfalls angeklagten Helfer gefragt, ob alles „frei“ sei. Das habe dieser bejaht - „dann habe ich den Sessel fallen lassen“. Gleichzeitig kam aber das Kind um die Ecke geflitzt. „Aufpassen! Aufpassen!“, habe er noch geschrien, sagte der Angeklagte - aber da war es zu spät.

Während Mussa damals im OP-Saal um sein Leben kämpfte, wurde der 24-Jährige von der Polizei in Handschellen abgeführt. Am Donnerstag sagte er: „Ich fühle mich sehr schlecht, kann nachts nicht schlafen. Ich erinnere mich immer wieder, was passiert ist.“

Der damalige Wohnungsinhaber sitzt direkt hinter ihm auf der Anklagebank. Er bestreitet, den Auftrag erteilt zu haben, den Sessel aus dem Fenster zu kippen.