Bochum. . Der Kartoffelhändler Günter Nebe wird 80 Jahre alt. Das hindert ihn nicht daran, auf Bochums Wochenmärkten seinen Stand zu betreuen. Ganz im Gegenteil.
Seinen Jeanshut mit Fransenrand hat er vor Jahrzehnten auf der Kirmes geschossen. Jetzt gehört er zu Günter Nebe, genauso wie die erdbestaubten Knollen namens „Agata“ oder „Quarta“.
Zwölf Jahre alt war er, als er aus der Hitlerjugend im tschechischen Rostok zu Vater und Mutter nach Wattenscheid zurückkehrte. Die Flucht war schlimm. „Da träume ich noch heute von, das ist geblieben“, sagt Nebe. Tiefflieger schossen damals, Soldaten lagen in den Gräben. Er erreichte mit Güterzügen, eingebuddelt in die Kohle, das Ruhrgebiet. „Mein Vater sagte:,Jetzt habe ich wieder Mut‘ – und kaufte ein Pferd“, schildert Nebe. Der Junge fuhr fortan auf dem Flachwagen mit und handelte auf dem Bochumer, Wattenscheider und Gelsenkirchener Wochenmarkt mit Kartoffeln. „Der Bochumer Markt war früher noch vor dem Hauptbahnhof. Der Platz war nicht gepflastert, es war ein Trümmergrundstück“, erinnert er sich.
Ehepaar steht um vier Uhr auf
In Latzhose steht Günter Nebe jetzt vor seinem Haus auf dem Hof in einem Holzunterstand mit Arbeitsfläche. Er bindet Ziersträuße aus Weidenkätzchen und Forsythien für den Markt. Die geschützten Weidenkätzchen wachsen auf seinem 2500 Quadratmeter großen Grundstück. Hier betreibt Nebe, gemeinsam mit Ehefrau Margret (71), sein Gewerbe für Gartenbau und Kartoffelhandel. Tannen rahmen Beete, Kompostkästen und die Hinterseite seines Hauses. Manche Bäume ragen fast zehn Meter in die Höhe. Um sie in der Krone zu beschneiden, steigt Nebe Sprosse für Sprosse auf eine Leiter. An Markttagen steht das Ehepaar um vier Uhr in der Früh auf und stapelt Kartoffelsäcke auf den Lastwagen.
Günter Nebe hat viele Arbeitsplätze. „Er ist ständig auf Achse, wenn ich rausgehe und ihn irgendwo suche, ist er schon wieder woanders“, sagt Margret. In einer Doppelgarage am Hof steht ein kleiner Flug und eine Motorfräse, an der Wand hängen auf die ganze Länge Schraubenschlüssel in allen erdenklichen Größen, das steht eine alte Waage und darauf eine kleine Standuhr. Hier baut Nebe aus geschwungenen Ästen ein wunderschönes Futterhaus für Vögel.
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In der zweiten Hälfte der Garage blitzt der silberfarbene Lack seines Cabrios, das im März ein H-Kennzeichen als Oldtimer erhält. Hinter dem Haus wohnen seine Deutschen Zwerge. Im vergangenen Jahr wurde Nebe für 65 Jahre Mitgliedschaft im Rassegeflügelzuchtverein Höntrop 1926 geehrt. Zahllose weitere Auszeichnungen für die Hühner schmücken die Wände seiner Wohnung, sogar des Kellers. Gerne begrüßt er Hahn „Hennes“ mit freundlichen Worten und erfreut sich an der Schönheit der Tiere. „Für mich ist das Allerhöchste die Natur. Stellen Sie sich mal vor, die Sonne würde nicht mehr aufgehen. Dann müssten wir alle erfrieren“, sagt er. Die Liebe zur Natur geht bei den Nebes auch durch den Magen. Das Ehepaar versorgt sich selbst. Margret kocht und friert das angebaute Gemüse und Obst ein. Günter Nebe arbeitet zehn Stunden am Tag und empfindet es „fast wie ein Hobby“. Am Abend trinkt er ein Pils und einen Wacholderschnaps „für die Nierenspülung“ oder zwei Gläschen Wein. Manchmal greift Günter Nebe nach der Mundharmonika oder dem Akkordeon und lässt seinen Tag dann mit einem Walzer ausklingen.