Es ist ein dunkler Verschlag auf dem Dachboden eines Hauses irgendwo in der Türkei, nicht weit entfernt von der syrischen Grenze, der Ahmed für einige Wochen Unterschlupf bot. Der damals 16-jährige Syrer aus einer recht wohlhabenden Familie irgendwo im Norden des vom Bürgerkrieg zerrissenen Landes war dort gestrandet. „Zurück in meine Heimat konnte ich nicht, dort suchte mich die Polizei. Und in der Türkei konnte ich als illegaler Flüchtling auch nicht bleiben“, erzählt er. Der heute 18-Jährige lebt nun in Bochum, hat einen regulären Asylantrag gestellt und wird betreut von der Stiftung Overdyck. Seit mehr als zwei Jahren leben jeweils bis zu 18 unbegleitete minderjährige Flüchtlinge in zwei Wohngruppen. „Doch die Betreuung hört mit der Volljährigkeit nicht auf“, sagt Leiterin Petra Hiller.
„Ich war ein verwöhnter syrischer Sohn“, räumt Ahmed offen ein. Dabei sprechen seine lebhaften Augen, seine Hände, sein Körper mit, wenn er berichtet. Nur wenn die Sprache auf seine Heimat kommt, seine Eltern die zehnjährige Schwester, die noch zu Hause lebt, stockt sein Erzählfluss. Ob er Heimweh empfinde? Da fahren die Hände vor die Augen er schweigt. Nein, er möchte nicht daran erinnert werden, ist er doch gerade dabei in Deutschland Fuß zu fassen in seiner neuen Umgebung, das schon ein Stück zu seiner neuen Heimat geworden ist.
Sehr schnell hat er sich die deutsche Sprache angeeignet, beinahe fließend schildert er die Situation im Syrien des beginnenden Bürgerkriegs. Gemeinsam mit Altersgenossen habe er Flugblätter verteilt oder Plakate aufgehängt. „Es war ein großer Aufbruch.“ Doch schon bald standen er und seine jüngeren Brüder auf den Fahndungslisten der Polizei. Das einst in diesem arabischen Land funktionierende Prinzip des Bestechens war in der sich brutalisierenden Situation zusammengebrochen. Geld, Kontakte, halfen nichts mehr. Es blieb nur die Flucht.
Später wurde die Lage in jenem dunklen Verschlag („Nur manchmal morgens oder abends für ein paar Minuten bin ich da raus, um durchzuatmen“) unhaltbar. Die türkische Polizei durchkämmte die Straße auf der Suche nach Illegalen und nach Drogenhändlern. Ahmed nahm Kontakt mit seinem Vater auf: „Du kannst nicht kommen, du wirst gesucht“, warnte der am Telefon.
Ahmeds Familie ist groß, Verwandte leben in Dortmund und in Köln. Schließlich beschloss die Familie, dass er nach Deutschland kommen sollte. 12 000 Euro hätten sie gezahlt für einen falschen Pass, die Flugtickets und die Organisation mit einem Schlepper. Es ging alles glatt : „So richtig verstanden habe ich das alles damals nicht. Es war so etwas wie ein Abenteuer.“
Als Kind, zudem als syrisches, konnte er nicht abgeschoben werden. In einer ersten Wohngruppe lebte er sich zunächst schlecht ein. Die Erinnerungen an die Heimat, an die Flucht ließen den Heranwachsenden nicht schlafen, quälten ihn. Das hat sich gründlich geändert. Seit einem halben Jahr lebt er allein in einem eigenen Appartement. Betreut zwar weiterhin von der Stiftung Overdyck, aber dennoch selbstständig.