Bochum. Auftakt zum zweiten Jahr in der Regie von Heiner Goebbels: Die europäische Erstaufführung für Harry Partchs 75-Minuten-Werk “Delusion of the Fury“ brachte vor allem die Erkenntnis, dass die Musikgeschichte nicht völlig neu geschrieben werden muss – eine Entdeckung war es nicht.
Sensationen im Musiktheater sind rar gesät, aber willkommen, wenn sie die gefährlich hoch gespannten Erwartungen erfüllen. Davon kann bei der Eröffnungspremiere der Ruhrtriennale in der ausverkauften Bochumer Jahrhunderthalle allerdings nur ganz bedingt die Rede sein.
Das letzte große Werk von Harry Partch aus dem Jahre 1966, einem hierzulande bislang kaum bekannten, angeblich aber mindestens so kreativen und eigenwilligen Zeitgenossen John Cages, wurde so euphorisch angekündigt, als müsste die Musikgeschichte neu geschrieben werden. „Delusion of the Fury“ heißt das 75-minütige Werk in zwei Akten, das in Europa noch nie zu hören gewesen ist. Partchs Spielereien mit urwüchsigen Klängen, exotischen Einflüssen aus dem japanischen Nō-Theater und afrikanischen Ritualen sowie etlichen Abweichungen von gewohnten Skalenbildungen und Stimmungsmustern mögen vor 50 Jahren noch für glänzende Augen gesorgt haben. Mittlerweile gehören solche Zutraten zum Alltag des Musiktheaters.
Nicht einmal die herausragendste Besonderheit sorgte für nennenswerte Überraschungen, nämlich die Besetzung mit etwa 25 eigens für das Stück hergestellten Groß-Instrumenten, die pittoresk anzusehen sind, mit ihrer Dominanz diverser Schlag- und Stabspiele klanglich allerdings kaum originellere Farben herstellen können als etwa Carl Orff in seinem „Prometeo“, der im letzten Jahr die Ruhrtriennale zierte. Immerhin: Die „Marimba Eroica“, eine 72-saitige Kithara und ein „Chromelodeon“ mit einer 43-fach zersplitterten Oktave bilden mit ihren bizarren Formen zugleich das Skelett des Bühnenbilds, das Regisseur Heiner Goebbels und Bühnenbildner Klaus Grünberg nur noch durch ein paar Gebirgsformationen, einen Wasserlauf, eine aufgehende Sonne und ein paar raffinierte Lichteffekte ergänzen mussten.
Die Musiker der Kölner MusikFabrik, die ein Jahr damit zubrachten, die neuen Instrumente zu erlernen, sorgen mit ihrem körperbetonten Einsatz für eine Handlungsenergie, die die dünnen Handlungen der beiden Akte nicht leisten können. Zwei japanische und afrikanische Erzählungen, gedacht als Antwort auf die griechische Verbindung von Tragödie und Komödie. Merkwürdig, dass der Kontrast musikalisch kaum zum Tragen kommt. Die minimalistisch rastlos vor sich hin perlende Klangkulisse wirkt auf Dauer erstaunlich eintönig.
Im Grunde handelt es sich um ein szenisch aktiviertes Konzert, bei dem die Musiker zugleich alle Rollen übernehmen. Viel Text haben sie nicht zu lernen. Und die ritualisierten Andeutungen einer Handlung brauchten und hatten auf der instrumental überladenen Bühne ohnehin nicht viel Platz.
Das Spiel mit Feuer und Wasser erinnert entfernt an die Prüfungen der „Zauberflöte“ und dem wabernden „Feuerzauber“ Richard Wagners. Aber alles von einem kunsthandwerklichen Klangbrei überzogen, der niemandem weh tut, aber auch keinen wirklich bedeutenden Beitrag zum neuen Musiktheater leistet.
Größere Substanz darf man vom zweiten Großprojekt der bis zum 6. Oktober andauernden Ruhrtriennale erwarten, Helmut Lachenmanns „Mädchen mit den Schwefelhölzern“ in der Regie von Robert Wilson vom 14. September an ebenfalls in Bochum.
Die Wiederbelebung von Partchs Kreation wurde vom Bochumer Premierenpublikum freundlich, wenn auch nicht überschwänglich aufgenommen.
Die nächsten Aufführungen in der Bochumer Jahrhunderthalle: am 30. und 31. August sowie am 1., 6., 7. und 8. September.
Information: www.ruhrtriennale.de