Wenn der Angeklagte doch etwas wie Reue oder Trauer fühlt, so lässt er es sich nicht anmerken. Regungslos sitzt der 54-Jährige im Gerichtssaal, sehr blass, sehr schmal sieht er aus in seinem schwarzen T-Shirt – die Zeit in der Untersuchungshaft, der lange Prozess haben ihm sichtlich zugesetzt. Doch er dreht das Gesicht nicht weg, als die Fotografen auf die Auslöser drücken. Er schlägt nicht einmal die Augen nieder, als das das Urteil fällt: lebenslang.

Drei Monate mit insgesamt 14 Verhandlungstagen hat sich der Prozess hingezogen, drei Monate, in denen zahlreiche Zeugen und Gutachter befragt, in denen das Leben der Familie und der mögliche Tathergang immer wieder beleuchtet, grausame Details zutage gebracht wurden. Der Angeklagte schwieg dazu vor Gericht, der Polizei hatte er erzählt, es sei ein Unfall gewesen; in einem Brief sogar seinen 20-jährigen Sohn beschuldigt, die Tat begangen zu haben.

Doch das Gericht sieht es als erwiesen an, dass er im November vorigen Jahres seine Frau in der katholischen Kirche in Braunlage ermordet hat – durch einen Schuss aus nächster Nähe in den Hinterkopf. Am Tattag habe er erfahren, dass seine Frau die Scheidung eingereicht hatte, nach 27 Jahren Ehe. Fast zwei Stunden begründet der Vorsitzende Richter Ralf-Michael Polomski das Urteil. „Sie haben die Arg- und Wehrlosigkeit Ihrer Frau ausgenutzt“, sagt er. Das Projektil sei fast waagerecht in den Hinterkopf der nur 1,50 Meter großen Frau eingedrungen. Sie habe keine Chance gehabt, sich zu wehren.

Er lässt auch noch mal die Beziehung der beiden Revue passieren – bis zu dem Punkt, an dem aus der großen Liebe eine große Enttäuschung wird und das Leben aus den Fugen gerät.

Das Paar aus Bochum-Wattenscheid lernt sich 1982 in der Tanzschule kennen, drei Jahre später heiratet es. Aus der Ehe gehen zehn Kinder hervor. Der Mann arbeitet als Sozialversicherungsfachangestellter bei einer Berufsgenossenschaft. Seit 1992 ist er unter anderem wegen eines psychischen Leidens krankgeschrieben, er wird frühverrentet. 2005 zieht die Familie von Wattenscheid nach Braunlage. Immer wieder gibt es Probleme mit dem Jugendamt. Zwischenzeitlich lebt der Vater in Griechenland. Während dieser Zeit entfremdet sich seine Frau von ihm, sie wird immer selbstständiger, findet Halt in der Kirche, in der sie als Küsterin arbeitet.

Im September 2012 kehrt der Angeklagte nach Braunlage zurück, die Familie ist inzwischen in eine andere Wohnung gezogen; mit einem 20-jährigen Sohn haust er im alten Haus, ohne Wasser, ohne Strom. Mehrfach nimmt der Mann Kontakt zu seiner Frau auf, doch sie bleibt distanziert.

Kurz vor der Tat erhält er überraschend Post vom Amtsgericht. Seine Frau hat einen Scheidungsantrag gestellt. Er versteckt ein Gewehr in der Toilette der katholischen Kirche. Kurz nach dem Gottesdienst erschießt er seine Frau vor der Sakristei. Nach der Tat müssen sein 20-jährige Sohn und die kleine Schwester helfen, die Leiche in den Keller zu schleppen und das Blut wegzuwischen. Gemeinsam flüchten sie mit dem Auto Richtung Süden. Zwei Tage später stellt sich der Mann der Polizei in München.

Für die besondere Schwere der Schuld, wie sie die Oberstaatsanwältin zusätzlich zur lebenslangen Haftstrafe beantragt hatte, sieht das Gericht keine rechtlichen Gründe gegeben. Der Angeklagte hat also eine Chance, nach 15 Jahren aus der Haft entlassen zu werden, wenn er sich gut führt. Er wird dann fast 70 Jahre alt sein.