Es soll Menschen geben, die seit vielen Jahren in Bochum wohnen, aber noch nie durch die Bergbausiedlung „Dahlhauser Heide“ in Hordel geschlendert sind. Man möchte ihnen zurufen: Holt das nach, sonst verpasst ihr die mithin idyllischste Wohngegend in eurer Stadt.
Fachwerk, gewundene Gassen, frisch blühende Natur ringsum und eine Stille, als sei hier ewig Feiertag: So schaut es aus, wenn man durch so friedliche Sträßchen wie etwa die Sechs-Brüder-Straße flaniert. Ein Name, der von einem Kohlefeld stammt. Dass beim WAZ-Spaziergang mit dem Heimatkenner Herbert Schmitz auch noch ein blau-weißer Himmel strahlt, hebt die Laune auf Urlaubsstimmung. „Das ist Lebensqualität“, sagt Schmitz und bringt es auf den Punkt.
Der 60-Jährige erzählt, wie Krupp als Besitzer der Zechen Hannover/Hannibal Anfang des 20. Jahrhunderts die Wohnhäuser hat bauen lassen für Arbeiter aus den damals deutschen Ostgebieten. Die Gebäude mit den auffallend tiefen Traufen scheinen wetteifern zu wollen, wer denn das schönste ist im ganzen Dorf. Hier und da regiert der westfälische Baustil mit Fachwerk, dort der englische, der den Bergbausiedlungen auf der Insel entlehnt ist. Allein gemeinsam ist aber die Liebe zum Detail, zum Gemütlichen.
An einem der alte Ställe, die viele Häuser miteinander verbinden, hat jemand zum Beispiel ein altes Gitter hergerichtet: eine Reminiszenz an einen Taubenschlag („Die Rennpferde des kleinen Mannes“). Wieder ein paar Meter weiter stellte eine Bewohnerin eine uralte Waschmaschine aus Holz in den Garten. Das mit Grün verzierte Gerät wurde einst mit einem Wassermotor betrieben. Ein Museumsstück: Heute ist es eine Zierde auf dem Rasengrün.
Überhaupt die Gärten! Früher wurde darin Kappes angebaut, wegen Vitamin C. Daher auch der Name „Kappeskolonie“. Heute sind sie zahlreich mit Obstbäumen, Vogelhäuschen und lauschigen Sitzecken bestückt und gepflegt nach dem Motto: sauber und ordentlich, aber nicht überzuckert, nicht verkitscht. „Die Leute hier hauen nicht auf den Putz. Sie machen es sich einfach, aber schön“, sagt Schmitz. Das tiefsitzende Heimatgefühl schlägt hier auch in der Gartenpflege durch. Müll auf der Straße findet man höchstens in Spurenelementen.
Ab und an rollen hier Reisebusse mit Touristen durch. Dann wird gestaunt: So sieht’s im „Kohlenpott“ aus? „Das erfüllt einen ein bisschen mit Stolz“, sagt Hausbesitzerin Mildret Raillon. 1981 hatte sie ihr Haus gekauft und umgebaut. Wer ihr Haus sieht, kann nur gratulieren. Zu Bergarbeiterzeiten gab es in der Siedlung nur Mieter. Wer die Arbeit auf der Zeche verlor, flog raus. Ohnehin hatte die Siedlung auch eine soziale Funktion. Schmitz: „Hier traute sich keiner, blau zu machen, denn der Nachbar sah das sofort.“
Die Häuser sind zwar schön, aber auch eng und steil, weil meist zwei Familien darin wohnen. Unterm Dach lebten damals oft „Kostgänger“, wie Schmitz erzählt. Jeweils zwei solche Bergleute hätten sich ein Zimmer geteilt. Wegen des Zwei-Schichten-Betriebes auf der Zeche sei das Bett immer warm gewesen.
Seit den 70er-Jahren steht die Siedlung, die nach der früheren Wasserburg „Haus Dahlhausen“ an der Berthastraße benannt wurde, unter Schutz. Supermärkte gibt es hier nicht. Sie würden, so nützlich sie sind, irgendwie nicht ins Dorfbild passen. Wohl aber gibt es eine Gaststätte und auch einen zentralen Platz: den Beamtenplatz. Dort wohnten die Steiger und Direktoren. Mitten auf dem Platz plätschert ein Wasserspiel, das aus Stollen-Stützen geschaffen wurde. Einmal sagt Schmitz: „Es ist entspannend, hier durchzugehen.“