Bochum. . Zwei Prozent der Bevölkerung leiden unter dem Borderline-Syndrom – Frauen häufiger als Männer. Alle haben in Kindheit und Jugend Grenzüberschreitungen erlebt. Schrecken und Zurücksetzungen wirken Jahrzehnte nach. Experten vom LWL-Klinikum haben nun eine bundesweit einzigartige Therapie entwickelt.

„Du schaffst es ja eh nicht!“ Ellen (Name geändert) weiß nicht mehr, wie oft dieser vernichtende Satz ihrer Eltern ihr Herz durchbohrte. Was die 35-Jährige weiß: Ihre Seele ist dadurch krank geworden. Sie leidet an der Borderline-Störung. Im LWL-Universitätsklinikum findet sie derzeit ärztliche Hilfe. „Ich bin“, sagt Ellen, „auf einem guten Weg.“

Zwei Prozent der Bevölkerung sind von Borderline betroffen – Frauen häufiger als Männer. Allen gemein ist: Sie haben in ihrer Kindheit und Jugend Grenzüberschreitungen (daher „Borderline“) durchlitten. „80 Prozent waren Opfer von sexuellem Missbrauch, der viel häufiger stattfindet als man gemeinhin denkt“, berichtet Klinikdirektor Prof. Dr. Georg Juckel. Hinzu kommen körperliche Gewalt, Vernachlässigung, seelische Grausamkeiten just durch die Menschen, die einem am nächsten sind: Vater und Mutter.

Die Schrecken und Zurücksetzungen wirken Jahrzehnte nach. Brutal. Selbstzerstörerisch. Heftige emotionale Schwankungen, totale innere Anspannung, Minderwertigkeitskomplexe bis hin zur Verstümmelung („Ritzen“) und Selbstmordgefahr sind die schlimmen Folgen. Beziehungen münden im Chaos. „,Ich hasse dich – verlass mich nicht!’: Der Buchtitel drückt aus, was viele Menschen mit Borderline-Störung zerreißt“, sagt Dr. Marc-Andreas Edel, Oberarzt am LWL-Klinikum. Der oder die Liebste wird zum Feind, vor dessen Trennung man gleichwohl panische Angst hat. Sich zu schneiden, zu schlagen, mit dem Kopf gegen die Wand zu rennen sind typische Versuche, der Verzweiflung ein Ventil zu verschaffen.

Behandlung als Baukastenprinzip

Mit einem Expertenteam hat Dr. Edel in den vergangenen zehn Jahren eine ganzheitliche Therapie für Borderline entwickelt. Im Rahmen einer Fachtagung wird das bundesweit einzigartige Konzept am Mittwoch vorgestellt und diskutiert. Einfach gesagt, werden an der Alexandrinenstraße die unterschiedlichen Behandlungsformen wie ein Baukasten zu einem Gebäude zusammengesetzt, in dem sich der Patient aufgehoben, sicher und verstanden fühlt. Meint vor allem: dem Kranken zuhören, ihn ernst nehmen, zu akzeptieren – und ihm damit genau das geben, was er in seinem Umfeld allzu häufig nicht (mehr) erfährt. Ziel: sich selbst, seine Vergangenheit, seine Krankheit anzunehmen, das Bestmögliche daraus zu machen. Wieder zu leben!

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Bei Ellen hat die Therapie gewirkt. „Wir Borderline-Patienten sind in einer eigenen Welt gefangen, misstrauisch und ängstlich. Hier lernen wir, zu beobachten und unser Umfeld nicht als grundsätzlich feindlich, sondern freundlich aufzunehmen.“ Ellen weiß, dass Menschen sie nicht nur aus-, sondern auch anlachen. Ein riesiger Schritt.