„In den Medien haben Behinderte immer festgelegte Rollen. Gerne als Held oder als vom Schicksal gebeutelt. Ich bin dann immer eine Heldin.“ Das sagt Professorin Dr. Theresia Degener – und es gefällt ihr nicht. Denn es ist ihrem Verstand und vor allem ihrem Gestaltungswillen zu verdanken, dass die Professorin von der Evangelischen Fachhochschule in Bochum kürzlich zur Stellvertretenden Vorsitzenden des Ausschusses der Vereinten Nationen für die Rechte von Menschen mit Behinderungen gewählt wurde. Und nicht der Tatsache, dass sie contergangeschädigt ohne Arme geboren wurde.

Die 1961 in der Nähe von Münster geborene Degener war neben ihrer akademischen Laufbahn - Rechtswissenschaften in Frankfurt/Main bis 1986, Master of Law (LL.M.) 1990 in Berkeley, Promotion 1992 wieder in Frankfurt – immer in sozialen Bewegungen aktiv. „Meine Heimatbewegungen“, nennt sie die Frauen- und die Behindertenrechtsbewegungen. Im berühmt gewordenen „Krüppeltribunal“ (1981) trat sie bereits auf, eine Behindertenrechtsbewegung, die größtmögliche Freiheit zur Selbstbestimmung für körperbehinderte Personen lauthals und gerne provokativ einforderte. Neben vielen anderen, auch internationalen Positionen vertrat sie von 1989 bis 1996 die Nichtregierungsorganisation „Disabled Peoples’ International“ bei der UN-Menschenrechtskommission, später war sie als Expertin Mitglied der Enquete-Kommission des Bundestags „Recht und Ethik der modernen Medizin“. 2005 erhielt sie das Bundesverdienstkreuz. Solch ein Weg aus den sozialen Bewegungen hinein in die Schaltzentren der Macht gelingt nicht vielen Menschen – im Vordergrund standen für Theresia Degener aber immer die emanzipatorischen Ideen.

Pendeln: Bochum, Genf und New York

Inzwischen pendelt sie zwischen Bochum, Genf und New York, lebt im Ruhrgebiet und unterrichtet in in Altenbochum. Ihre Studentinnen und Studenten profitieren von der Professorin für Recht und Disability Studies, die seit 1998 hier lehrt. Sieben Studierende konnten sie nach New York begleiten, bekamen gar Zugangsausweise für das UNO-Hauptquartier und einmalige Einblicke in internationale Politik. Zuletzt reisten 12 andere mit ihr nach Genf, konnten dort die Arbeit erstklassiger Menschenrechtsexperten hautnah verfolgen. So etwas kann kaum eine Uni weltweit bieten.

Doch was tut die Bochumer Professorin auf diesem Weltparkett? Sie kontrolliert Staaten. In einem Quasi-Tribunal kommen Länder auf den Prüfstand von jeweils 12 bis 23 Experten, die sich mehrfach im Jahr treffen. Reihum müssen Mitgliedsländer 60- bis 80-seitige Berichte einreichen, die dann von der Kommission - unter Berücksichtigung von nicht-staatlichen Informationen - überprüft werden. Es gelang ihrer Kommission sogar, die sonst unzugängliche chinesische Führung dazu zu bewegen, Menschenrechtsverletzungen an Behinderten einzuräumen und Verfolgung anzukündigen. Es sind nicht die Dritt-Welt-Länder, die Menschenrechtsverletzungen an Behinderten vorrangig verüben, räumt Degener mit einem Missverständnis auf: „Von Uganda könnte Deutschland lernen“, sagt sie. Ihr jahrelanges Engagement vertiefte auch eine traurige Grunderkenntnis: „Die Täter von Menschenrechtsverletzungen kommen oft aus Wohlfahrtsbewegungen. Im Namen des Guten, Gottes und des Helfens wird viel Unrecht angerichtet.“

Beim Betrachten ihrer am Ende des Gesprächs überreichten Visitenkarte denkt man angesichts der darauf auch in Blindenschrift vermittelten Kontaktdaten, dass es sich um etwas Besonderes handeln müsse. Falsch gedacht: so sollte jede Visitenkarte aussehen. In der Welt, für die Theresia Degener kämpft. So gesehen, ist sie eine Heldin.